Das Big Bets Dilemma – Kann Philanthropie zu groß gedacht werden?

Was haben Wetten mit der Welt des Spendens und Stiftens zu tun? Michael Seberich begibt sich auf Spurensuchen in die philanthropischen Literatur und findet einführende Antworten bei Raijv Shah, unterzieht mit Unterstützung von Kevin Starr alles einem Realitätscheck und schätzt am Ende die Bedeutung für die Philanthropie in Deutschland ein.

Kommentar zur aktuellen Debatte im angloamerikanischen Raum von Michael Seberich

Was haben Wetten mit der Welt des Spendens und Stiftens zu tun? In der deutschen Sprache klingt die Idee von „großen Wetten“, eher nach dem Tippen auf die Spiele der vergangenen Fußball-Europameisterschaft in Deutschland oder den Olympischen Spiele in Paris, der Endphase eines Poker-Spiels oder dem Besuch in einem Kasino. „Big Bets“ sind aktuell in der angloamerikanischen Philanthropie das Thema schlechthin, wenn es darum geht, die großen ökologischen und gesellschaftspolitischen Themen unserer Zeit anzugehen.

Was ist mit „Big Bets“ in der Philanthropie gemeint? – Auf Spurensuche in der Literatur

Bei Big Bets geht es um den konzentrierten Einsatz von philanthropischen Ressourcen (Geld, Zeit, Wissen, Netzwerke), um zentrale ökologische und gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen. Dieses Geben, bzw. soziales Investieren, findet meist global statt und wird im US-Diskurs häufig kontrastiert mit dem Geben für das eher lokale Geben für Hochschulen, Medizin und kulturelle Einrichtungen. Die Big-Bets-Diskussion geht einher mit der Frage, wie in Zeiten von sich konzentrierenden Vermögens, ein philanthropisches Engagement gestaltet werden kann. Wie kann sich in dieser Zeit gesellschaftliche Wirkung entfalten und weiterhin der Demokratie verpflichtet bleiben? (vgl. Foster 2019)

Raijv Shah führt ein

Der Präsident der Rockefeller Foundation, Dr. Rajiv Shah, spricht in seinem 2023 erschienen Buch „Big Bets. How Large-Scale Change Really Happens“ von einem „big bets mindset“. Ihm schwebt eine Haltung vor, die für Führungskräfte notwendig ist, um die Herausforderungen unserer Zeit erfolgreich anpacken zu können. Die drei zentralen Bausteine dieser Haltung sind:

  1. Dinge neu denken und Innovationen nutzen, um große Herausforderungen anzugehen.
  2. Kollaborationen initiieren zwischen Akteur*innen aus allen Sektoren und häufig mit Partner*innen, die auf dem ersten Blick gar nicht als Partner*innen erscheinen.
  3. Das konsequente Messen von Fortschritt, von Outcomes, bei der Umsetzung von gesellschaftlichem Wandel. (vgl. Shah 2023: 16)

Die Beispiele in Shahs autobiographischem Buch bewegen sich in einem Ausmaß, das Vielen in der (europäischen) Welt des Gebens unerreichbar erscheinen muss. Es geht, zum Beispiel, um weltweite Impfungen von Kindern, die Ebola Pandemie in Westafrika im Jahr 2014 und um die COVID-19 Pandemie. Der Autor beschreibt, wie Allianzen mit internationalen Organisationen, Regierungen auf der ganzen Welt, NGOs, der Wirtschaft, der Wissenschaft und Militärs geschmiedet werden, um sich Problemen zu stellen. In diesem Buch ist die Welt eine der „big bets“. Dabei spricht das Buch auch vom Scheitern und dem Lernen aus Fehlern. Der Autor versucht die Idee der „big bets“ auf die Welt des alltäglichen Engagements, Gebens zu übertragen. Hier fehlt mir als Leser in Europa, der besondere, amerikanische Tatendrang und die Haltung. Veränderung, Verbesserung ist auf jeden Fall möglich, aber in der Philanthropie häufig auf einer anderen Flughöhe.

Wie verliert die Debatte nicht die Bodenhaftung? Realitätscheck durch Kevin Starr

Mit seinem Blogpost im Stanford Social Innovation Review „Big Bet Bummer. We need big bet philanthropy. We also need it to change“ vom April 2024 läutet Kevin Starr von der Mulago Foundation die nächste Runde der Debatte ein: er spricht von der „big bet philanthropy“. Sein weiterführendes Argument ist, dass Ideen in der Philanthropie – wie überall – gefährlich sind, wenn sie nicht mit Taten und entsprechenden Werten untermauert werden. Interessant ist, dass es dann plötzlich um konkrete Details geht, wie Bürokratie bei Antragsverfahren, 10jährige Förderdauer, oder das Risiko-Management für die geförderten Organisationen. Starr bringt die „big bet philanthropy“ zurück auf den Boden der Realität. Es kommt hinzu, dass er deutlich macht, dass ein kleiner Kreis in der globalen Philanthropie sich plötzlich den „big bets“ verschreibt. Das klingt ein wenig wie in den Debatten als alle über strategische, katalytische oder xyz-Philanthropie sprachen.

Was bedeutet all dies für die Philanthropie in Deutschland?  Michael Seberich schätzt ein

Erstens, die Philanthropie in Deutschland hat einiges zu positiver gesellschaftlicher Veränderung beigetragen, meist in mutigen, kleinen Schritten. Zweitens, in Europa gibt es weiterhin kaum Geber*innen oder Stiftungen, die sich mit einer Big-Bet-Haltung in den öffentlichen Diskurs wagen. Drittens, am Ende läuft auch diese Debatte darauf hinaus, dass mehr im Sektor und darüber hinaus kollaboriert wird. Letzteres ist dann doch keine Überraschung.

 Quellen

Foster, William (2019). „Introduction“. In „Unleashing Philanthropy’s Big Bets for Social Change´” in SSIR, Spring 2019.

Shah,Rajiv (2023). Big Bets: How Large-Scale Change Really Happens. Seimon Element.

Star, Kevin (2024). Big Bet Bummer. We need big bet philanthropy. We also neet it to change. In SSIR, April 2024: (Zugriff am 14.05.2024)

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