Gehen Sie wählen!
Unternehmen finden eine neue Rolle in der Demokratie
Ein Beitrag von Michael Seberich und Anna Henke
Die Wirtschaftsallianz „Wir stehen für Werte“ von mehr als 30 Deutschen Unternehmen, ist ein Bekenntnis der beteiligten Konzerne „zu einem geeinten Europa“, „zu Vielfalt, Offenheit und Toleranz.“ All dies ist verbunden mit dem Aufruf an ihre 1,7 Millionen Mitarbeiter*innen, zur Wahlurne zu gehen. Dieser Wahlaufruf ist der eigentliche Kern der Aussage, denn die Manager*innen in diesem Land erkennen, dass der dritte US-Präsident, Thomas Jefferson, wohl recht hatte mit seiner Beobachtung: „Schlechte Kandidaten werden von Bürgern gewählt, die nicht zur Wahl gehen.“
An dieser Stelle lohnt ein Blick über den Atlantik, da sich dort Unternehmen schon seit einiger Zeit für den Akt des Wählens engagieren. Ja, das Wahlsystem in den USA ist bedeutend komplizierter durch den Registrierungsprozess, regionale Unterschiede etc. Trotzdem stehen Unternehmen immer wieder für das Thema ein und greifen es aktiv in ihrem Unternehmensmarketing auf.
Levi ‘s engagiert sich mit seiner Kampagne „Its your vote“ schon sehr lange als ein Unternehmen, das Menschen zum Wählen aktiviert und vor allem informiert. Das Unternehmen spricht gezielt junge Wähler*innen an: Das Wählen und das Darüber-sprechen wird durch gebrandete T-Shirts angeregt, die bewusst in Instagram-Reels und TikTok-Videos aufgegriffen werden – politische Bildung als Lifestyle.
Ein anders Beispiel ist die Kampagne „Time to vote“ in der sich Unternehmen, wie Coca-Cola, Nike, Patagonia oder SAP zusammengefunden haben, um dafür zu werben, dass Beschäftigte sich nicht entscheiden müssen zwischen dem Wahlgang und dem Job. Dies ist sicherlich eine Herausforderung im US-Wahlsystem, trotzdem kommen auch hier Unternehmen zusammen, um sich aktiv dafür einzusetzen, dass Bürger*innen wählen dürfen.
MTV hat in den Wahlen für den US-Kongress im Jahr 2022 Aufmerksamkeit für seine Kampagne „Voting Early is Easier“ erhalten. Das Medienunternehmen richtete sich an Jungwähler und informierte diese vorab, wie sie sich für die Wahlen registrieren können und motivierte zur vorzeitigen Stimmenabgabe. Der Sender positionierte dabei Wählen als einen Teil des Erwachsenwerdens.
Mit Blick auf die kommenden US-Präsidentschaftswahlen hat das Medienunternehmen Viacom mit der NGO Ad Council gerade die Kampagne „Vote for your life“ gestartet. Noch bleibt abzuwarten, wie sich die Wahlbeteiligung entwickeln wird.
In Deutschland ist eine derartige klare Haltung inklusive Marketing-Kampagnen von Unternehmen bisher eher die Ausnahme. Eine solche ist der Hamburger Getränkehersteller Fritz-Kola. Das Unternehmen plakatierte großflächig in deutschen Städten zur vergangenen Bundestagswahl: „Manipuliere die Wahl“ oder „Kreuze ohne Haken“. Sie versuchte so die Bürger zu animieren, sich mit politischen Inhalten auseinanderzusetzen und von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen.
Laut der Werte-Allianz erarbeiten die Unternehmen für die Europa-Wahl gerade gemeinsame Inhalte und Formate, inklusive einer Kampagne in den sozialen Medien. Der Zweck ist, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich üblicherweise informieren. Es bleibt spannend, ob ihnen das gelingt.
Die Aufforderung, wählen zu gehen, ist ein kleiner Akt, um unsere Demokratie abzusichern. Und den unterstützen wir mit: Gehen Sie am 9. Juni wählen und werden Sie ein Teil der 60 Prozent der rund 350 Millionen wahlberechtigten EU-Bürger*innen. Laut einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung sind das etwa 10 Prozent mehr als vor fünf Jahren.
Was meinen Sie, reicht das aus? Und welche Wege müssen noch für eine starke Demokratie gegangen werden?