Mission: Sonne, Mond und Sterne

Die neue Ära der Moonshot Philanthropy?

Kommentar zur aktuellen Debatte von Michael Seberich

Es ist simpel und leuchtet sofort ein: 2.2 Milliarden Menschen auf der Erde sehen schlecht. Wenn sie, vor allem Kinder und Jugendliche, Zugang zu einer Brille, der entsprechenden augen-medizinischen Betreuung hätten, dann wäre der Zugang zu Bildung, einem eigenverantwortlichen Leben einfacher. Dieses Ziel verfolgt die The Chen Yet-Sen Family Foundation in Hongkong. Es lohnt sich die Lern- und Wirkungsreise dieser Stiftung in Ruhe zu betrachten: sie geht von dem Investment in bezahlbare Brillen bis zur UN-Deklaration „Eycare for all“ in 2021 .

Im Mai 2024 hatte ich die Gelegenheit James Chen, den Stifter hinter dieser Geschichte, auf dem Banff Giving Summit in Kanada zu erleben. Bei dieser Präsentation ging es gar nicht so sehr um Brillen, Bildung und Augenpflege, sondern um das, was Herr Chen in den letzten zwei Jahrzehnten bei der Verfolgung seines gesellschaftlichen Ziels gelernt hat. Für seine Reflexion holte er sich kompetente Unterstützung von der Universität Kent mit der Leiterin des Centre for Philanthropy Dr. Beth Breeze an seine Seite.

Warum sollten Philanthropen nach dem Mond greifen?

Die Wissenschaftlerin und der Stifter suchen in der Analyse von Herrn Chens Wirk-Reise nach Mustern. Die überspannende Frage dabei ist, wie können positive, gesellschaftliche Veränderung erreicht werden und vor allem wie kann Innovation skaliert werden. Diese Suche nach den Lösungen für solch große Fragen, nennen sie motivierend „Moonshot philanthropy“, da auch die Mondlandung nach der Zieldefinition durch US-Präsident John F. Kennedy im Jahr 1961 unerreichbar schien. Moonshot-Philanthropie wird als ein Ansatz verstanden, bei dem Philanthropen Kapital in großem Umfang einsetzen, um ehrgeizige, aber realisierbare Ideen oder Maßnahmen zu beschleunigen. Kennzeichnend für diesen Ansatz ist die Zusammenarbeit mit Gemeinschaften und Experten aus Wirtschaft und Regierung. Es ist ein Ansatz, bei dem das Lernen aus Misserfolgen, langfristiges (10+ Jahre) Engagement und ehrgeizige Ziele im Vordergrund stehen. Diese Zusammenarbeit mündet in der Erforschung von der Rolle und dem Potenzial der Moonshot Philanthropy: Was macht einen guten Moonshot aus? Welche Zutaten maximieren die Erfolgschancen eines Moonshots? Und für welche Probleme ist der Moonshot-Ansatz am besten geeignet?

Mission: Moonshot Philanthropy

Die ersten Ergebnisse der Analyse sind eine Erinnerung an Helmut Anheier und Diana Leats Beobachtungen in ihrem 2006 Buch Creative Philanthropy, welche Kreativität und Innovation in den Mittelpunkt einer modernen Philanthropie stellt. Bei den Fallstudien von Stiftungen, die Anheier und Leats analysieren, stehen Begrifflichkeiten wie „values“, „leadership“ und „risk“ im Mittelpunkt.

„Moonshots“ sind nach Breeze und Chen gezeichnet von nachhaltiger Finanzierung, Bereitschaft zu Risiko, Expertise in einem Thema und der dauerhaften Arbeit an Partnerschaften mit der öffentlichen Hand und der Zivilgesellschaft. Das Rezept ist nicht neu, aber eine notwendige Erinnerung, um eine neue Generation von Philanthropen zu inspirieren.

Spannend ist, dass zeitgleich eine neue Labor-Regierung in Großbritannien sich auf den Weg macht mit dem „mission-oriented policy design“ Veränderung zu großen gesellschaftlichen Themen, wie Energie oder Bildung, „anders“ politisch zu steuern. Die Formel besteht erneut aus alten Bekannten: Ko-Kreation, Offenheit für Unsicherheit, Kooperation mit denen die wollen, Kapazitätsausbau, …. Da liegt „mission-oriented philanthropy“ schon in der Luft.

In der Philanthropie bieten diese großen strategischen Konzepte einen Rahmen und schaffen eine gemeinsame Sprache. In einer Zeit, in der Vertrauen, Zuhören, Partizipation mit den Geförderten und Transparenz zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist es gut sich zu erinnern, dass ohne diese Haltungen weder Kooperation, noch Risikobereitschaft oder Lernprozesse möglich sind. Sonne, Mond und Sterne mögen uns den Weg weisen, aber gehen müssen wir ihn am Ende auf der Erde.

Quellen
Breeze, Beth & James Chen (01.09.2022). „Moonshot Philanthropy: achieving responsive social change by privatizing failure and socializing success.” University of Cambridge, Judge Business School.

Mazzucato, Marianna/Doyle, Sarah/Kuehn von Burgsdorf, Luca (07.2024). Mission-Oriented Industrial Strategy – Global Insights. University College London, Institute for Innovation and Public Purpose.

Wittmann, Dr. Florian, Dr. Andreas Hummler, Daniel Posch, Dr. Ralf Lindner (04.23) Missionen mit Wirkung. Bertelsmann Stiftung.

Mehr zur Moonshot Research Präsentation hier: https://research.kent.ac.uk/philanthropy/wp-content/uploads/sites/2278/2024/06/MP-in-Banff-Beth-intro-slides-public.pdf
Die Erde von Apollo 8 aus gesehen, der ersten bemannten Mission zum Mond, an Heiligabend 1968. (Bild mit freundlicher Genehmigung der NASA)