Radikal offen: Einblicke in die Outreach-Arbeit der Klassik Stiftung Weimar

Mit dem Projekt „Ent|Schlossen“ hat die Klassik Stiftung Weimar neue Wege der Kulturvermittlung und Zusammenarbeit erprobt. Wir durften das Projekt im Rahmen einer formativen Evaluation über zwei Jahre begleiten. Im Interview mit Valerie Stephani, Projektleitung und Referentin für Kulturelle Bildung, sprechen wir über die Motivation und wichtigsten Lernpunkte aus dem Projekt.

von Anna Balzereit & Eva Schneider

Kulturelle Teilhabe ist ein Schlüsselfaktor für Inklusion und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Doch: Nur etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland geht mindestens einmal im Jahr ins Museum. Das heißt im Umkehrschluss: Knapp 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland geht nicht ins Museum. Wie also bringt man das Museum zu den Menschen?

Aus dem Museum auf die Straße

Die Klassik Stiftung Weimar (KSW) zählt zu den bedeutendsten Kulturstiftungen Deutschlands. Sie vereint einzigartige Kulturdenkmäler, Museen, Archive und Parks in der Region Weimar. Im dreijährigen Modellprojekt Projekt Ent|Schlossen: Gesellschaftskultur gestalten (2021-2024) hat sich die Klassik Stiftung Weimar drei Ziele gesetzt:

  1. Die Stärkung der kulturellen Landschaft in der Region um Weimar.
  2. Die Erhöhung der Zugangschancen und Teilhabe an kulturellen Angeboten sowie die Erschließung neuer Zielgruppen.
  3. Die Stärkung der Alltags- und Gegenwartsorientierung im Gesamtprogramm der Klassik Stiftung Weimar.

Im Zentrum des Projekts standen drei Maßnahmen: (1) Partnerschaften mit zivilgesellschaftlichen Organisationen in und um Weimar, (2) das „Co-Labor“ – ein temporärer offener Raum auf dem Weimarer Schlossplatz, der von Partnerorganisationen bespielt und frei genutzt werden kann, (3), das „Co-Labor unterwegs“ – Lastenfahrräder, die in mobile Räume der Kulturvermittlung umgestaltet wurden und mit denen das Projektteam in und um Weimar unterwegs war.

Vereinfachtes Wirkungsmodell des Projekts Ent|Schlossen. Quelle: Evaluationsbericht Wider Sense (2024)

Wir sprechen mit Projektleiterin Valerie Stephani über das Projekt Ent|Schlossen.

Wider Sense: Warum hat sich die KSW „ent|schlossen“ und neue, offene Räume außerhalb des Museums geschaffen?

Valerie Stephani: Offene Räume sind Grundlage einer offenen Gesellschaft. Wir haben uns gefragt, wie wir in diesen Austausch und Begegnung fördern können. Die Klassik Stiftung verwaltet nicht nur zahlreiche Museen und Häuser in Weimar, sondern auch Teile des öffentlichen Raumes, z.B. den Park an der Ilm. Dieser steht wie vieles in Weimar unter UNESCO Welterbe-Schutz. Mit dem Co-Labor haben wir versucht, Welterbeschutz und Konservierung mit breiten Nutzungs- und Beteiligungsangeboten zu verknüpfen, um so eine lebendige Stadtgesellschaft zu fördern.

"Feierabend mit Freunden" am Co-Labor. Foto: Henry Sowinski

In politisch schwierigen Zeiten habt ihr versucht, möglichst offene Räume zu kreieren, in denen Menschen sich austauschen können. Wie haben die Menschen vor Ort reagiert?

Valerie: Wir haben meist sehr positive Reaktionen bekommen. Die meisten Menschen freuen sich, wenn im öffentlichen Raum was los ist. Das Auftreten mit Partner*innen half insbesondere an Orten, an denen wir normalerweise nicht vertreten sind, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Unsere Lastenräder sind sehr auffällig gestaltet. Das zog viele verschiedene Personen an. Von Einzelnen wurden wir jedoch auch als Fremdkörper wahrgenommen.

Ihr habt mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammengearbeitet und dabei auch viele neue Partnerschaften geschlossen. Was sind die wichtigsten Gelingensbedingungen für eine solche Zusammenarbeit?

Valerie: Lern- und Veränderungsbereitschaft, Transparenz, Zusammenarbeit auf Augenhöhe und Verlässlichkeit. Auch eine realistische Selbsteinschätzung der eigenen institutionellen Stärken und Schwächen hilft sehr, um produktiv mit anderen zusammen arbeiten zu können.

Welche Herausforderungen sind euch im Laufe des dreijährigen Projekts begegnet und wie habt ihr diese gemeistert?

Valerie: Wir wissen, dass wir als großer Tanker nicht immer der einfachste und fairste Partner in der Zusammenarbeit sind. Insbesondere kleine Partner fühlen sich manchmal überrollt und untergebuttert. Hier unsere institutionellen Logiken zu öffnen, sowie unsere eigenen Grenzen transparenter zu kommunizieren war und bleibt eine der größten Herausforderungen.

Die Frage, wieviel wir von unseren eigenen Inhalten einbringen sollten, wurde immer wieder diskutiert und mit den unterschiedlichen Partnern auch verschieden beantwortet. Toll war zu merken, dass viele Partner sehr großes Interesse an unseren Themen und Inhalten hatten, jedoch bisher keinen Zugang zu Klassik Stiftung gefunden hatten oder sich nicht angesprochen gefühlt hatten.

Die KSW ist eine große Institution, die bei Ent|Schlossen mit erheblichen Mitteln neue Methoden testen konnte. Was sind die wichtigsten Learnings, die ihr aus der begleitenden Evaluation mitnehmt?

Valerie: Insbesondere die qualitativen Befragungen unserer Partnerorganisationen und Kolleg*innen brachten uns viele Aha-Momente zur Frage, wie wir in Zukunft besser aufeinander zugehen und zusammenarbeiten können.  Auch half uns der Zwischenbericht sehr unseren eigenen Fokus zu schärfen und zielgerichteter zu arbeiten.

Die Evaluation der Maßnahmen war nicht ganz einfach. Was empfehlt ihr anderen Institutionen, die ihre Arbeit hinsichtlich der Wirkung auswerten möchten?

Valerie: Die Frage der Wirkungsmessung beschäftigt uns in der Klassik Stiftung zurzeit sehr. In den letzten Jahren ist das Bewusstsein dazu enorm gestiegen. Hier haben wir auch mit der Evaluation unseres eigenen Projektes viel gelernt.

Insbesondere das frühzeitige Erarbeiten einer Wirkungskette hilft, sich nicht zu viel vorzunehmen und zielgerichteter zu arbeiten. Ein externer Blick hilft dabei, dies ehrlich zu machen und seinen eigenen Fokus im Laufe des Projektes nicht aus den Augen zu verlieren. Den hätten wir von Beginn an gut gebrauchen können. Daher würde ich zukünftig eine externe Evaluation von Anfang an mit ins Boot holen.

Das Modellprojekt Ent|Schlossen ist nun beendet. Was bleibt? Welche Impulse gibt das Projekt für die zukünftige Arbeit der KSW?

Valerie: Tollerweise haben wir die Grundfinanzierung des Co-Labors über die nächsten zwei Jahre sichern können.  Mittelfristiges Ziel ist es, viele Veranstaltungsformate und Partnerschaften, die wir in den letzten Jahren etabliert haben, ins Schloss zu überführen. Dieses liegt direkt hinterm Co-Labor, ist aktuell Baustelle und wird in Teilen 2027 wiedereröffnet. Im Rahmen des Förderprojektes konnten wir sehr viel ausprobieren und experimentieren. Nun geht es darum das Thema Outreach- und Community-Arbeit als einen zentralen Baustein in der Kulturellen Bildung dauerhaft zu verankern und diese Themen auch ohne ständige Fördermittel bedienen zu können.

Danke für das Gespräch, Valerie, und die sehr gute Zusammenarbeit über die letzten Jahre hinweg. Wir wünschen Euch viel Erfolg für eure weitere Arbeit!

Zum Weiterlesen:

Valerie Stephani, Referentin Kulturelle Bildung, Klassik Stiftung Weimar
Valerie Stephani ist Referentin der Kulturellen Bildung und ehemalige Projektleiterin des Förderprojektes Ent|Schlossen an der Klassik Stiftung Weimar. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Fragen der produktiven Teilhabeorientierung und der strukturellen Öffnung von Kulturinstitutionen.