Strategische Partnerschaften in der Nothilfe
Langfristige Partnerschaften in der Nothilfe sind entscheidend, um nachhaltige Wirkungen zu erzielen. Der UNHCR und die UNO-Flüchtlingshilfe betonen in diesem Interview die Bedeutung flexibler und kontinuierlicher Unterstützung, um auf unvorhersehbare Krisen effektiv reagieren zu können.
Strategische Partnerschaften in der Nothilfe
Warum langfristige Unterstützung auch hier den Unterschied macht
Der Trend zur thematischen Fokussierung von Corporate Citizenship setzt sich fort. 2021 berichteten noch 17 Unternehmen, dass sie vier oder mehr Themenfelder bearbeiten. 2024 waren es nur noch 12. Ein weiterer Schlüsselfaktor: die passenden Umsetzungspartner*innen.
Humanitäre Organisationen bringen nicht nur Erfahrung und Expertise mit, sondern auch Zugang zu wichtigen Netzwerken und das Vertrauen der Menschen vor Ort. In längerfristigen Partnerschaften können deutlich nachhaltigere Wirkungen erzielt werden als durch ad hoc und breit gestreute Konzernspenden.
Und genau darauf zielt die Arbeit des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) ab: Besonders im Bereich der Nothilfe sind zuverlässige Partnerschaften essenziell, da sie zum einen eine schnelle Reaktion auf spontan auftretende Krisen ermöglichen sowie flexible Unterstützung in langwierigen und medial weniger präsenten Konflikten sichern. Wie diese Arbeit aussieht, erklären Andreas Kirchhof, Senior External Relations Officer des UNHCR und viele Jahre in Kriseneinsätzen tätig, sowie Sarina Theurer und Franziska Reeh, Expertinnen des Teams Corporate Partnerships der UNO-Flüchtlingshilfe im Interview mit Sarah Winkler, Wider Sense.
Zum Hintergrund: Seit über 70 Jahren schützt und unterstützt der UNHCR Menschen auf der Flucht und ist weltweit in 134 Ländern aktiv. Dabei leistet er lebensrettende Arbeit, trägt mit seinem Mandat zum Schutz von Flüchtlingen, u.a. im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention, zur Wahrung der grundlegenden Menschenrechte bei und fördert dauerhafte Lösungen, die betroffenen Menschen Schutz und Perspektiven bieten.
Die UNO-Flüchtlingshilfe mit Sitz in Bonn unterstützt als nationaler Partner diese Arbeit und ist Berater und Anlaufstelle für Spender*innen in Deutschland – sowohl für Unternehmen als auch Privatpersonen. Zu ihren Aufgaben zählt die Mobilisierung der Zivilgesellschaft in Deutschland dafür, die Arbeit des UNHCR finanziell zu unterstützen sowie Bewusstsein über Flucht, Fluchtursachen und -schicksale zu schaffen und die Förderung von Flüchtlingsprojekten deutscher Vereine und Initiativen.
Sarah Winkler (SW): Warum ist es in der Nothilfe so wichtig langfristige Partnerschaften zu gewinnen und nicht nur anlassbezogen mit Unternehmen zusammenzuarbeiten? Warum seht ihr hier aktuell einen großen Bedarf?
UNO-FLÜCHTLINGSHILFE: Egal ob in großen Städten oder abgelegenen und oft gefährlichen Orten – die UNHCR-Mitarbeitenden arbeiten immer daran, Menschen auf der Flucht zu schützen und zu unterstützen. Und doch war die Zahl der Menschen, die weltweit vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen mussten, noch nie so hoch wie heute. Laut dem neuesten UNHCR-Bericht waren Ende Juni weltweit über 122 Millionen Menschen vertrieben. Ein historischer Höchststand und die Zahl steigt weiter an.
In der direkten Folge bedeutet dies, dass humanitäre Arbeit auf ein Höchstmaß an Flexibilität und Effizienz angewiesen ist. Flexibilität meint, dass Mittel ungebunden und je nach Bedarf eingesetzt werden müssen. Der Grund dafür ist, dass humanitäre Krisen oft plötzlich entstehen und in den seltensten Fällen vorhersehbar sind. Zudem haben humanitäre Krisen viele Ursachen. Ob Naturkatastrophen, politische Unruhen, Kriege oder Konflikte – sie treffen Menschen unvermittelt und zwingen sie zur Flucht. Der UNHCR muss in der Lage sein, Ressourcen schnell dorthin zu verlagern, wo sie am dringendsten benötigt werden. Nothilfegüter und Noteinsatzteams, medizinische Versorgung und sichere Unterkünfte müssen binnen kürzester Zeit bereitgestellt werden.
Dies ist nur umsetzbar, wenn der UNHCR verlässliche und dauerhafte Partner*innen an seiner Seite hat. Denn langfristige Partnerschaften bieten dem UNHCR den nötigen finanziellen Spielraum, um auf unvorhergesehene und sich ständig verändernde Situationen zu reagieren.
Längerfristige Partnerschaften sind für den UNHCR unverzichtbar, da humanitäre Krisen oft auch über Jahre andauern. Ohne kontinuierliche finanzielle, logistische und vor allem flexible Unterstützung können die furchtbaren menschlichen Folgen langanhaltender Krisen wie in Syrien oder Afghanistan nicht ausreichend bewältigt werden.
Akute Krisen, wie etwa 2022 in der Ukraine oder 2023 während des Erdbebens in der Türkei und Syrien, bringen vor allem unflexible und (länder)gebundene Spenden. Diese haben bei akuten Notlagen zweifellos eine große Bedeutung, da sie eine schnelle und direkte Unterstützung ermöglichen. Doch sobald das mediale Interesse schwindet, fehlt oft die notwendige Finanzierung – obwohl die humanitären Bedarfe weiterhin bestehen. Das trifft zum Beispiel auch im Sudan zu, aber auch in Afghanistan, Syrien oder der Demokratischen Republik Kongo. Massive Unterfinanzierung gefährdet langfristige Hilfsprogramme, die eine nachhaltige Wirkung erzielen könnten.
Das zeigt: Unternehmen können viel bewirken, wenn sie sich nicht nur akut anlassbezogen, sondern nachhaltig engagieren.
SW: Die Wirkungsorientierung ist also sehr entscheidend. Helfen euch längerfristige Kooperationen denn auch dabei in der Nothilfe schneller zu agieren oder wird dies über die Anlassspenden realisiert?
UNO-Flüchtlingshilfe: Tatsächlich bieten uns ungebundene, mehrjährige Mittel auch die Möglichkeit, proaktiv zu handeln. Das bedeutet, dass Hilfsgüter auf Vorrat beschafft werden können, was nicht nur kostengünstiger, sondern auch schneller ist. In vielen Fällen sind die Beschaffungskosten für Hilfsgüter in der Krise höher, da sie kurzfristig und unter hohem Zeitdruck organisiert werden müssen. Durch die Vorratsbeschaffung kann der UNHCR diese Kosten senken und gleichzeitig sicherstellen, dass im Krisenfall sofort auf die notwendigen Nothilfegüter zurückgegriffen werden kann.
SW: Wann sind solche Partnerschaften aus eurer Sicht besonders wirkungsvoll?
UNO-Flüchtlingshilfe: Eine Partnerschaft wird besonders dann wirkungsvoll, wenn Unternehmen sich längerfristiger in der Nothilfe engagieren – etwa mehrjährig einen Beitrag leisten. Damit ermöglichen Unternehmen es dem UNHCR dann, auf drei zentrale Arten zu agieren: Vorbereitung, Reaktion und Begleitung. Dies sind die drei Säulen, die die Arbeit des UNHCR charakterisieren und sicherstellen, dass Menschen in Not nicht nur sofortige Hilfe erhalten, sondern auch langfristig eine neue Lebensperspektive entwickelt werden kann – zum Beispiel durch Bildungs- oder einkommensschaffende Maßnahmen. Der Bereich Vorbereitung umfasst zum Beispiel die Vorratslagerung von Hilfsgütern, wie Zelten, Nahrung, Medizin oder Hygieneartikeln, die dann in Krisengebiete transportiert werden, sobald eine Notlage entsteht. UNHCR-Nothilfeteams können innerhalb von 72 Stunden nach Ausbruch einer Krise vor Ort sein. Die Nutzung des finanziellen Beitrags bei anlassgebundenen Akutspenden ist hingegen auf den Soforteinsatz bei einer Katastrophe festgelegt. Das macht sie nicht weniger bedeutsam, wenn es darum geht, vielen Menschen in einer akuten Notsituation schnell zu helfen. Doch sie können weniger flexibel eingesetzt werden und unterstützen weniger die Nothilfearbeit entlang der genannten drei Säulen.
Wirkungsvolle Partnerschaften basieren auf gegenseitigem Vertrauen und einem offenen Austausch. Der UNHCR stellt sicher, dass die Mittel effizient und zielgerichtet eingesetzt werden und die Ergebnisse messbar sind. Unternehmen, die längerfristige Partnerschaften eingehen, erhalten Informationen über die Verwendung der Mittel und die erzielten Erfolge. Diese Transparenz ist nicht nur ein wichtiges Element, um Vertrauen aufzubauen, sondern auch, um die Wirkung der Partnerschaft nach außen zu kommunizieren.
SW: Wie funktioniert eure Hilfe vor Ort konkret?
Andreas Kirchhof (AK): UNHCR ist vor Ort, in Krisengebieten und in Aufnahmeländern. Unsere Teams kümmern sich, gemeinsam mit Partner, vor allem um eines: den Schutz der Flüchtlinge und Vertriebenen. Das kann heißen, einer geflohenen Mutter mit ihren Kindern im Kongo eine Notunterkunft zu geben oder mit den Behörden über den Schutz ihrer Siedlung zu verhandeln. Es kann aber auch bedeuten, Flüchtlinge über Gefahren sexueller Gewalt zu informieren und denen, die Gewalt erfahren haben, medizinische Behandlung und Beratung zur Verfügung zu stellen.
SW: Was sind aktuelle Herausforderungen?
AK:Ein Beispiel: Die schreckliche Gewalt gegen Zivilist*innen im Sudan hört bislang nicht auf, ja weitet sich sogar aus. Nach weit über einem Jahr müssen immer noch Menschen fliehen. Und wenn es eine Familie z.B. in den Tschad, ein sehr armes Nachbarland, geschafft hat, haben wir oft noch nicht mal das Nötigste, um ihnen zu helfen. Und es geht ja nicht nur um diese ganz unmittelbare Hilfe. Kinder sollen zur Schule gehen, Unterernährung muss vermieden werden, da gibt es auch längerfristige Aufgaben. Es gibt viele kleinere und größere Flüchtlingskrisen, in denen wir gerne mehr tun würden, und oft muss das auch über einen längeren Zeitraum geschehen – je nach Situation.
SW: Was hat sich in den letzten fünf Jahren unter Umständen auch verändert?
AK: Die Landkarte der Krisen hat sich verändert: Die Ukraine-Krise steht für viele im Mittelpunkt. Dort helfen wir auch, aber wir dürfen nicht den Rest der Welt vergessen. So hat sich etwa die Situation in Myanmar noch weiter verschlechtert, aber davon nehmen in Europa nur wenige Notiz. In anderen Ländern gibt es Chancen auf Besserung und Flüchtlinge wollen zurückkehren.
SW: Wie blickt ihr angesichts von 120 Millionen Menschen auf der Flucht in die Zukunft?
AK: Es ist klar: Humanitäre Hilfe hilft den Menschen beim Überleben, aber sie kann Krisen und Kriege nicht beenden. Trotzdem verlieren wir nicht den Mut. Wir sehen so viel Positives in unserer täglichen Arbeit. Den guten Willen der Aufnahmebevölkerung und die Kapazitäten der Menschen, darauf müssen wir aufbauen.
Es wird deutlich, längerfristige Partnerschaften wie die der UNO-Flüchtlingshilfe ermöglichen dem UNHCR nicht nur schnelle Nothilfe, sondern auch nachhaltige Unterstützung. Jetzt die Frage an Euch, Sarina und Franziska: Wie kann eine längerfristige Finanzierung bspw. basierend auf strategischen Unternehmenspartnerschaften eure Nothilfearbeit verändern? Welche Szenarien sind denkbar?
UNO-Flüchtlingshilfe: Humanitäre Krisen werden immer zahlreicher, langwieriger und komplexer. Die Zahl der gewaltsam vertriebenen Menschen nimmt tragischerweise von Jahr zu Jahr zu. Bis Ende 2024 kann nicht ausgeschlossen werden, dass 130 Millionen Menschen weltweit vertrieben sind. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung muss besonders die Nothilfe flexibel, schnell und dadurch nachhaltig agieren. Eine längerfristige Finanzierung, die auf strategischen Unternehmenspartnerschaften basiert, hat das Potenzial, die Nothilfearbeit des UNHCR grundlegend zu verändern und auf eine neue Ebene der Effizienz und Wirkung zu heben.
Zum Abschluss verdeutlichen wir das gerne nochmal ganz konkret an einem Beispiel. 2022 hat der Krieg in der Ukraine weltweit und in Deutschland viel Solidarität hervorgebracht, so auch bei unserem langjährigen Partner, der Volkswagen AG. Gemeinsam mit allen Marken hat der Konzern schnell und zuverlässig in mehrfacher Millionenhöhe gespendet. Damit hat der Konzern nicht nur als eines der ersten Unternehmen in der Krise reagiert, sondern sich mit seiner Unternehmensspende und der bis dato größten Sammlung innerhalb seiner Belegschaft zum wichtigen und verlässlichsten Partner der UNO-Flüchtlingshilfe entwickelt. Teil des Engagements ist auch die Unterstützung eines Programms des UNHCR zur Förderung von Hochschulstipendien für besonders begabte Geflüchtete – das schafft nachhaltige und langfristige Perspektiven für Menschen auf der Flucht.
Auch andere Kooperationsmodelle, Spendenhöhen und Engagements zeigen große Wirkung, schaffen Verlässlichkeit und Planbarkeit – zum Beispiel, wenn Unternehmen regelmäßige Anlassspenden, etwa zu Weihnachten oder zum Weltflüchtlingstag, tätigen oder ihre Kund*innen oder Mitarbeitenden einbinden.
Vielen lieben Dank für die Einblicke in Eure wertvolle Arbeit: Sarina, Franziska und Andreas!
Unsere Ansprechpartnerin
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Name:Sarah Winkler
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