Zwischen Gabe, Gemeinschaft und Zukunftsmut

In einer Zeit, in der Krisen, Ungleichheit und technologische Veränderungen unseren Alltag prägen, stellt sich die Frage: Was bedeutet „Geben“ heute? Michael Seberich beleuchtet in diesem Gespräch die transformative Kraft der Philanthropie. Er zeigt auf, wie Vertrauen und Beziehungen im Zentrum einer erfolgreichen Förderpraxis stehen und wie der Ansatz der Trust-Based Philanthropy neue Wege eröffnet. Lassen Sie sich von seinen transatlantischen Einblicken und den lebendigen Beispielen aus Kanada inspirieren und entdecken Sie, wie Philanthropie nicht nur auf Missstände reagiert, sondern aktiv positive Zukunftsbilder mitgestaltet.

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Michael Seberich über die Zukunft der Philanthropie 

Was bedeutet „Geben“ in einer Zeit multipler Krisen, wachsender Ungleichheit und technologischem Wandel? Und wie kann Philanthropie als Praxis gelingen, die nicht nur wirkt, sondern auch verbindet? Wir haben mit Michael Seberich, unserem Gründer, Mitglied im Board of Visitors der Lilly Family School of Philanthropy und Mit-Initiator von #VertrauenMachtWirkung, über aktuelle Trends in den USA und Kanada gesprochen. Seine zentrale These: Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, müssen wir die Perspektive wechseln und Vertrauen ins Zentrum rücken. Aufgrund seines transatlantischen Blicks gibt er Impulse für die deutsche Stiftungslandschaft. Im Gespräch mit Felix Dresewski für #ImpulseStiften sprach er über zeitgenössische Herausforderungen und Chancen, die er in der Förderpraxis sieht.

Geben ist mehr als monetäre Förderung – es ist Beziehung

„Ich habe mich schon als Kind gefragt, warum Menschen geben“, sagt Michael. Aus dieser Neugier entstand ein ethnologisches Interesse – mit Fokus auf indigene Gemeinschaften in Nordamerika. Besonders beeindruckt hat ihn hierbei das sogenannte Potlatch an der Nordwest-Küste Kanadas: ein öffentliches Ritual, bei dem einzelne Clans oder Familien ihren Besitz großzügig an andere verteilen und dadurch nicht nur Status, sondern auch Zusammenhalt und Erinnerung stiften. Dieses Verständnis von Gabe als sozialem Akt, nicht nur als ökonomische Transaktion, prägt bis heute seinen Blick auf Philanthropie. Geben, so Michael, ist ein Beziehungsangebot. Es schafft Nähe, Vertrauen und Bindung – genau das, was in der aktuellen Förderpraxis oft zu kurz kommt.
„Wir reden viel über Wirkungsindikatoren, Reportingpflichten und Evaluation“, sagt er. „Aber die zentrale Frage bleibt: Wie gestalten wir Beziehungen, die Veränderung wirklich ermöglichen?“

Von Strategie zu Vertrauen: ein Kulturwandel in der Philanthropie

Jahrzehntelang war „Strategic Philanthropy“ der Goldstandard der Förderlandschaft: Fördern mit Plan, Kontrolle und Zielvorgaben. Doch dieses Modell stößt an Grenzen, insbesondere dann, wenn es um soziale Gerechtigkeit, Teilhabe oder systemischen Wandel geht. Immer mehr Stiftungen, auch in Deutschland, beschäftigen sich deshalb mit dem Ansatz der Trust-Based Philanthropy. Dabei stehen langfristige Partnerschaften, offene Kommunikation und weniger Bürokratie – mehr Vertrauen im Mittelpunkt.

Michael hat diesen Wandel aktiv mitgestaltet – unter anderem durch die Initiative #VertrauenMachtWirkung, die 2019 von einem Netzwerk progressiver Stiftungen ins Leben gerufen wurde. Was mit ein paar Thesen begann („Auch Stiftungen machen Fehler“, „Stiftungen hören zu“) hat sich inzwischen zu einem umfassenden Transformationsprozess entwickelt. Heute gehören dazu z. B. das Grants Managing Lab, in denen Mitarbeitende aus Stiftungen gemeinsam über faire Förderpraxis reflektieren. Ab September 2025 wird #VertrauenMachtWirkung, eine bundesweite Befragung von NGOs zur Qualität ihrer Förderbeziehungen erheben. „Wir wollen die Perspektive umkehren“, betont Michael. „Nicht mehr nur fragen: Was erwarten Stiftungen von Organisationen, sondern: Was brauchen Organisationen wirklich, um wirksam arbeiten zu können?“

Kanada: ein lebendiges Labor für Partizipation

Besonders inspirierend sind für Michael die Entwicklungen in Kanada, wo er selbst mit verschiedenen Stiftungen gearbeitet hat. Dort ist die Zusammenarbeit mit indigenen Gemeinschaften ein zentraler Bestandteil vieler Förderstrategien. Stiftungen verpflichten sich etwa, mit sogenannten Elder Councils zusammenzuarbeiten – also mit älteren Mitgliedern der indigenen Bevölkerung, die als kulturelle Autoritäten gelten. Plattformen wie the Circle of Philanthropy fördern die Selbstorganisation indigener Philanthrop*innen und beraten Stiftungen bei der respektvollen Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Auch öffentliche Veranstaltungen zeigen diese Haltung: Dort ist es üblich, mit einem Land Acknowledgement zu beginnen, einem öffentlichen Hinweis darauf, auf welchem traditionellen Territorium man sich befindet.

Was das mit Deutschland zu tun hat? Michael sieht Parallelen, etwa in der Förderung von migrantischen Initiativen, von Alleinerziehenden oder von jungen Menschen mit politischer Stimme. Modelle wie der Mädchenbeirat von filia.die frauenstiftung oder Jugendbeiräte in Bürgerstiftungen, wie sie von Children for a Better World e.V. initiiert werden, zeigen, dass auch hierzulande Macht teilbar ist, wenn der Wille da ist.

KI, ESG & Co: neue Werkzeuge, alte Fragen

Technologische Entwicklungen verändern auch die Welt der Stiftungen. Besonders aktuell ist hier der Einsatz von künstlicher Intelligenz im Förderprozess: In den USA gibt es erste Pilotprojekte, bei denen KI-Förderanträge bewertet, Wirkungsberichte automatisiert analysiert oder Trends im Spendenverhalten erkennt. Michael sieht darin Chancen, aber auch Risiken. „Wenn eine NGO ihren Antrag mit KI schreibt und eine Stiftung ihn mit KI auswertet, dann stellt sich irgendwann die Frage: Wo bleibt der Mensch? Wo bleibt die Geschichte hinter dem Antrag?“ Auch das Thema ESG (Environment, Social, Governance) steht unter Druck: In den USA geraten Diversity-Programme in Unternehmen zunehmend in die Kritik. Und obwohl Europa in Sachen Nachhaltigkeitsregulierung weiter ist, gibt es auch hier eine Debatte darüber, wie politisch Unternehmensengagement und Stiftungsarbeit sein dürfen.
Michaels Appell: „Werkzeuge sind wichtig. Aber sie dürfen niemals Haltung ersetzen.“

Der transatlantische Blick & was Europa anders macht

Als Mitglied des Boards der Lilly Family School of Philanthropy bringt Michael regelmäßig Perspektiven aus der US-Forschung nach Europa und umgekehrt. Dort wird intensiv geforscht: zu Spendenverhalten, religiösen Einflüssen auf das Geben, Geschlechtergerechtigkeit oder regionalen Unterschieden in der Förderpraxis. Doch Michael betont: Auch Europa hat viel beizutragen. Engmaschige zivilgesellschaftliche Netzwerke, historisch gewachsene Stiftungskapitale und eine lange Tradition lokaler Verankerung sind hier große Stärken. Während in den USA „Hyperlocal Giving“, also lokales Spenden im direkten Umfeld, als neuer Trend gefeiert wird, ist das in Deutschland gelebte Realität: Bürgerstiftungen, Gemeinwohlfonds oder kommunale Fördergemeinschaften sind oft seit Jahrzehnten aktiv. Insgesamt ist er der Meinung, dass der transatlantische Austausch beidseitig funktionieren kann. Dennoch solle man, trotz des Potenzials für gegenseitiges Lernen durch Best-Practice-Aktivitäten, nicht von einer unhinterfragten Übertragbarkeit ausgehen. Die Berücksichtigung von Unterschieden sowohl in politischen Systemen als auch in institutionellen Rahmbedingungen sollte im transatlantischen Austausch zentral sein.

Philanthropie braucht Zukunftsmut

Trotz aller Herausforderungen, von der Klimakrise bis zur politischen Polarisierung, ist Michael kein Kulturpessimist. Im Gegenteil: Er wünscht sich mehr positive Zukunftsbilder, gerade in der Philanthropie. „Wir alle kennen die Probleme“, sagt er, „entscheidend ist doch, wie wir über Zukunft sprechen. Wo bleiben die mutigen Ideen und die positiven Utopien, wo bleibt der Optimismus?“ Er plädiert dafür, dass Philanthropie nicht nur auf Missstände reagiert, sondern aktiv positive Zukunftsbilder mitgestaltet: „Wir können nicht von einer Katastrophe zur nächsten reiten. Es braucht eine neue Aufklärung – eine Zeit, in der wir uns erlauben, groß und mutig zu denken.“
Konkret heißt das für Michael, Räume zu schaffen, in denen neue Ideen entstehen können, von gerechter Bildung über inklusivere Städte bis hin zu innovativeren Formen des gesellschaftlichen Zusammenhalts.

Wandel beginnt im Inneren & in der Mitte

„Veränderung“, sagt Michael, „beginnt selten im Vorstand. Viel öfter entsteht sie in der Mitte der Organisation – also bei den Mitarbeitenden, die jeden Tag mit NGOs, Anträgen, Menschen und Konflikten zu tun haben. Dort braucht es Räume für Austausch, Reflexion und gemeinsames Lernen.” Einen solchen Ort bietet zum Beispiel das bereits erwähnte Grants Managing Lab. Denn: Strategien allein reichen nicht. „Entscheidend ist nicht nur, ob wir Wirkung messen“, sagt er. „Sondern ob wir wirklich verändern, was wir verändern wollen.“ Diese Haltung nennt er reflektierte Praxis und sieht darin das Fundament einer zukunftsfähigen Philanthropie.

Weiterführende Podcastempfehlung zum Thema: Fundraising Trends for 2025: AI, Ethical Storytelling & Burnout Solutions in Small Non-Profit
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Weiterführende Podcastempfehlung zum Thema: What Trends in Philanthropy Will Define 2025 and Beyond? in Untapped Philanthropy
https://podcasts.apple.com/ca/podcast/fundraising-trends-for-2025-ai-ethical-storytelling/id1435361544?i=1000691099136&l=fr-CA

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