„Das Stichwort ist ‚gemeinsam‘“

Mehr miteinander reden, transparenter und vor allem mutiger kommunizieren – das steht für Staatssekretärin Dr. Dorit Stenke am Anfang einer erfolgreicheren Steuerung im Bildungssystem. Im Interview spricht sie mit uns über das Nationale Bildungsforum und wie Formate wie dieses zu einer neuen Art Dialog in der deutschen Bildungslandschaft führen können.

Ein Beitrag von Stephan Dorgerloh

Fünf Fragen an … Dr. Dorit Stenke, Staatssekretärin im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein.

Das Nationale Bildungsforum bringt Verantwortliche und Expert*innen aus der Bildungslandschaft zusammen, die sonst zu wenig miteinander reden – oder zumindest: anders. Das sagt auch Staatssekretärin Dr. Dorit Stenke über das jährliche Treffen in Wittenberg. Stephan Dorgerloh (SD), Initiator des Forums und früher selbst Bildungsminister in Sachsen-Anhalt, hat für uns mir ihr gesprochen – über Steuerungsmöglichkeiten des Bildungssystems.

Stephan Dorgerloh (SD): Frau Stenke, das Nationale Bildungsforum ist nun ja schon wieder einige Monate her. In der Zwischenzeit haben wir unter anderem eine neue Bundesregierung bekommen. Was ist Ihnen in Erinnerung geblieben? Welche Impulse wirken weiter?

Dr. Dorit Stenke: Thomas de Maizière (Bundesminister a.D., Vorsitzender der Deutsche Telekom Stiftung und Keynote Speaker auf dem vergangenen Bildungsforum, Anm. d. Red.) hat mit seinen Forderungen nach mehr Steuerung einen furiosen Einstieg hingelegt. Das hat uns in der KMK schon ziemlich unter Strom gesetzt, weil er auch auf zentrale Problemlagen hinwies. Wir haben in der KMK offenbar ein Vermittlungsproblem, weil viele nicht wirklich verstehen, was wir mit und in der KMK machen.

Das ist auch in seinem Vortrag noch mal deutlich geworden. Die Weiterentwicklung der KMK braucht solche Impulse. Es gibt kaum Tagungen, die diese Problemlagen so gründlich analysieren. Das bleibt in Erinnerung und wir haben auch gerade die Arbeit in der KMK in einer Strukturkommission aufgenommen.

SD: Was haben denn die Praxis-Impulse insbesondere vom Nachbarland Hamburg auf dem Forum für ihre politisch-administrative Arbeit bewirkt?

Dr. Dorit Stenke: Norbert Maritzen und Martina Diedrich haben einen beeindruckenden Vortag über ihre Erfahrungen in Hamburg gehalten. An den Tischen und in weiteren Gesprächen wurde auch darüber noch viel diskutiert. Für mich persönlich war an dem Vortrag gar nicht so viel Überraschendes. Aufgefallen ist mir vor allem, dass es inzwischen beim Thema Best Practice nicht mehr nur darum geht, dass vorne einer spricht und sich alle dann überlegen, wie man das zu Hause selbst umsetzen kann.

Das Gute ist doch, dass die Länder in den vergangenen Jahren nicht mehr nur voneinander, sondern vor allem miteinander gelernt haben. Wir haben inzwischen im Kreis der Länder viele Formate gefunden, in denen wir Problemstellungen gemeinsam bearbeiten. Meist haben ja die Länder alle ähnliche Probleme und suchen dafür gemeinsam nach Lösungsansätzen, die dann wiederum unterschiedliche Umsetzungen erfahren. In dieser Vielfalt der Umsetzung liegt ja auch eine Stärke des Föderalismus.

„Wir müssen unsere Kommunikationsprozesse anders aufsetzen“

SD: Gibt es also Steuerungsthemen, auf die Sie jetzt nach dem Nationalen Bildungsforum noch einmal anders schauen?

Dr. Dorit Stenke: Was wir wirklich tun müssen, ist zu anderen Kommunikationsprozessen zu kommen. Wir müssen tatsächlich mehr miteinander reden und aus diesen Frontal-Formaten rauskommen. Das ist ja auch keine neue Erkenntnis. Aber Steuerung läuft auch viel über Kommunikation und das Bildungsforum hat da wichtige Impulse gesetzt. Es hat dazu beigetragen, dass sich die Formate weiterentwickeln und Fragestellungen geschärft werden.

Die Gespräche in den Tischgruppen auf dem Forum sind ein gutes Beispiel dafür, weil sie verschiedene Perspektiven und Stakeholder-Interessen abbilden. In Sachen Kommunikation haben wir unsere Steuerung in Schleswig-Holstein inzwischen neu aufgesetzt. Ein Beispiel: Wir hatten hier schon vor dem Bildungsforum in Wittenberg begonnen, eine Veranstaltungsreihe mit regionalen Konferenzen zu planen.

Die Idee: Schulleitungen, Lehrkräfte , weitere an Schulen Beschäftigte, Eltern, Verwaltung, bildungspolitische Aktive aller Parteien und alle an Bildung interessierten Menschen in einer Region in einem Raum zusammenbringen. Diese sollen darüber sprechen, was in der Pandemie gemacht wurde, was davon behalten werden soll und wie man so die Schule weiterentwickeln kann.

So offen darüber mit allen zu sprechen, das hat sich Bildungspolitik vor einigen Jahren noch nicht getraut. Und hierzu inspirieren ja auch Formate wie das Nationale Bildungsforum, wo ja auch ganz bewusst verschiedene Stakeholder und Experten aufeinandertreffen und miteinander – statt übereinander – sprechen.

SD: Also geht es nicht nur darum, dass wir in der Bildungslandschaft mehr miteinander reden, sondern auch wie?

Dr. Dorit Stenke: Es geht vor allem um mehr Transparenz. Bildungssteuerung darf keine Black Box mehr sein. Zu Beginn der schleswig-holsteinischen KMK-Präsidentschaft haben wir ein langes Hintergrundgespräch mit Journalisten geführt. Die haben uns dort sehr viele Fragen gestellt, vor allem sehr unbequeme. Darauf haben wir sehr offen geantwortet und ich glaube, dass das auch wertgeschätzt wurde.

Anderes Beispiel: Wir kommunizieren unsere internen Arbeitsergebnisse. Auch das hat es vor einiger Zeit so noch nicht gegeben und das wurde im Präsidium diskutiert und auch gegen Widerstand durchgesetzt. Da ging es unter anderem um die von der KMK beauftragte Covid-Studie, die nicht alle Erwartungen erfüllen konnte und viele Fragen offen lassen musste – auch weil wir alle sehr unter Zeitdruck standen und ein wissenschaftliches Herangehen einer anderen Logik folgt.

Oder um die Berichte zur Umsetzung des Digitalpaktes, die ebenfalls nicht nur positiv rezipiert worden sind. Wir haben das jedes Mal mit Hintergrundgesprächen für die Journalistinnen und Journalisten begleitet, immer auch mit Staatssekretären aus den Ländern. Das waren natürlich teilweise sehr ungemütliche Situationen. Es hat aber dazu geführt, dass wir deutlich machen konnten, warum die Dinge so sind, wie sie sind. Und was hinter einer einzelnen Zahl eigentlich steht – an Arbeit, an Kommunikation, an Abstimmung vor Ort. Und das trägt wiederum dazu bei, Mythen mangelnder Bildungssteuerung zu dekonstruieren. Ich finde, das ist jetzt nicht wenig – denn ich weiß ja, was es gekostet hat, das zu erkämpfen.

„Da kann man von einem Beschleunigungsprozess sprechen“

SD: Ich kann das gut nachvollziehen. Man merkt, dass sich da schon etwas getan hat und weiterhin viel tut. Wie sieht es denn mit der Zusammenarbeit mit dem Bund aus? Was sind da ihre Erwartungen?

Dr. Dorit Stenke: Das Stichwort ist hier „gemeinsam“. Wir Länder erwarten schon sehr klar vom Bund, dass er die Dinge gemeinsam mit uns bespricht. Wir haben dem Bund da schon sehr konkrete Gesprächsangebote gemacht. Und wir haben zwei Themen konkret auf den Weg gebracht: Erstens hatten wir durchaus eine Meinungsverschiedenheit darüber, wie wir über das berichten, was sich bislang im Programm „Aufholen nach Corona“ alles getan hat; welche Aktivitäten es in den Ländern gab, wie die Mittel eingesetzt wurden etc. Da haben wir zusammen mit Kornelia Haugg (Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Anm. d. Red.), innerhalb der Länder und untereinander schon eine Einigung erzielt.

Zweitens ging es um die Frage, wie wir den Digital-Pakt I beschleunigen. Dazu haben wir ebenfalls Gesprächs-Formate definiert, die Anfang März in einer Sitzung der gemeinsamen Steuerungsgruppe gemündet sind. Dafür hatten die Länder zuvor binnen nur einer Woche alles Nötige zugearbeitet. Da kann man schon von einem Beschleunigungsprozess sprechen.

Ich finde, das sind Beispiele, die zeigen, wie man diese Dynamik mitnehmen, wie man Dinge gemeinsam auf den Weg bringen kann, Absprachen in vereinbarten Terminen miteinander umsetzt und vor allem nicht über die Presse miteinander kommuniziert. Das ist meine Erwartungshaltung auch für die Kommunikation in der Zukunft. Ich finde, die können wir schon ganz gut bedienen.

Teilnehmer*innen diskutieren auf dem Nationalen Bildungsforum über die Steuerungsmisere des deutschen Schulsystems. Foto: Lukas Kolig
Teilnehmer*innen diskutieren auf dem Nationalen Bildungsforum über die Steuerungsmisere des deutschen Schulsystems. Foto: Lukas Kolig
Dr. Dorit Stenke, Staatssekretärin im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. Foto: Frank Peter

Zur Person: Dr. Dorit Stenke

Dr. Dorit Stenke ist seit 2017 Staatssekretärin im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein. Die Erziehungswissenschaftlerin, Soziologin und Psychologin war zuvor unter anderem stellvertretende Direktorin der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung in Meißen und Geschäftsführerin des Aufbaustabes der Sächsischen Evaluationsagentur in Dresden. Am Nationalen Bildungsforum im September 2021 in Wittenberg nahm sie auch vor dem Hintergrund der schleswig-holsteinischen Präsidentschaft der Kultusministerkonferenz teil (Foto: Frank Peter).

Hintergrund: Das Nationale Bildungsforum

Beim Nationalen Bildungsforum nahmen am 22. und 23. September 2021 Bildungsexpert*innen das Steuerungssystem der deutschen Bildungslandschaft ganz genau unter die Lupe. Titel des 4. Forums: „Übersteuert und ungesteuert: Zur Steuerungsmisere des deutschen Schulsystems“.

Das Nationale Bildungsforum versammelt einmal jährlich Expert*innen der deutschen Bildungs- und Schullandschaft in Wittenberg, die sich dort zu zentralen Fragen und Herausforderungen von Schule und Bildung in einem geschützten Rahmen austauschen können.

Dabei sollen drängende Themen vor- und über konkrete Problemstellungen nachgedacht werden – gemeinsam und unter Einbindung diverser Professionen und Perspektiven – von Bildungsadministration und Landesinstituten über Wissenschaft, Medien und Schulleitungen bis zu Stiftungen und Verbände. Stephan Dorgerloh hat das Nationale Bildungsforum 2018 gegründet und verantwortet die inhaltliche Konzeption seitdem gemeinsam mit einem interdisziplinären Team.

Das 5. Nationale Bildungsforum wird sich am 14. und 15. September 2022 zwanzig Jahre nach dem Pisaschock fragen, ob wir grundlegend weitergekommen sind bei den Anstrengungen, dass alle Kinder am Ende der 4. Klasse die Mindeststandards in Lesen, Schreiben und Mathematik erreichen. Wie in jedem Jahr ist das Treffen nicht öffentlich, auf einen vertrauensvollen Austausch ausgerichtet und eine Teilnahme nur mit Einladung möglich.

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