Die Politik schafft’s nicht allein: Warum die Bundesregierung das Thema CSR in den Blick nehmen muss

Corporate Social Responsibility: drei Worte, die im Koalitionsvertrag fehlen. Warum das keine gute Ausgangslage für den Beitrag der deutschen Wirtschaft zur Lösung drängender Probleme von Klimakrise bis zu fairen Produktionsbedingungen ist, hat unsere Kollegin Anna Wolf in ihrem Beitrag analysiert. Ihr Credo: Die Politik muss jetzt schnell wichtige Weichen stellen, die Unternehmen dann liefern.

ein Beitrag von Anna Wolf

In Krisenzeiten spricht man oft über wenig anderes. Das scheint angesichts des Angriffskriegs gegen die Ukraine auch für viele innenpolitische Debatten und Vorhaben zu gelten. Dabei würde es der Bundesregierung helfen, sich gerade jetzt vor dem Hintergrund der aktuellen Fluchtkrise selbst um weitere Hilfe zu bemühen. Denn schon im Koalitionsvertrag vernachlässigten die Ampelparteien die Frage, wie Unternehmen über das bisher übliche Maß in die Lösung der drängendsten ökologischen und gesellschaftlichen Probleme eingebunden werden könnten.

Dabei ist unumstritten, dass Unternehmen im Rahmen ihres freiwilligen Engagements für nachhaltiges Wirtschaften – auch Corporate Social Responsibility (CSR) genannt – über sehr effektive Hebel und gewaltige Ressourcen verfügen.

Kein CSR im Ampel-Vertrag

Umso verwunderlicher ist, dass im Koalitionsvertrag der Begriff Corporate Social Responsibility noch nicht einmal auftaucht. Dort heißt es lediglich auf Seite 171 unter dem Abschnitt „Sustainable Finance“, dass man das Vorhaben der Europäischen Kommission unterstütze, eine Corporate Sustainability Reporting Directive zu entwickeln.

Worum geht es dabei genau? Damit ist gemeint, dass der Umfang und die Art der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen sich ändern soll. Bisher müssen Unternehmen ab einer gewissen Größe einmal im Jahr einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen, wenn sie an einem EU-regulierten Markt notiert sind. Im Bericht legen sie dar, wie sie ihre Verantwortung gegenüber Mensch, Gesellschaft und Umwelt wahrgenommen haben. Das umfasst zum Beispiel, wie viele CO2-Emissionen sie einsparen, mit welchen gemeinnützigen Organisationen sie zusammenarbeiten, wie sie Korruption und Bestechung unternehmensintern unterbinden, Diversität in der Personalbesetzung fördern, die Verletzung von Menschenrechten bei der Produktion und Zulieferung ihrer Produkte verhindern usw.

Unter der neuen EU-Direktive würden die Berichtspflichten umfangreicher. In der EU wären davon ca. 50.000 Unternehmen betroffen. In Deutschland träfe das auf etwa. 15.000 Unternehmen zu. Die europäische Direktive bietet also eine Chance, den Druck besonders auf diejenigen Unternehmen zu erhöhen, die sich bislang nur zaghaft für Gesellschaft und Planet einsetzen. Das ist gut – aber nicht ausreichend.

Bundesregierung muss CSR-Potenzial nicht nur erschließen, sondern auch vervielfachen

Denn es wird dadurch mitnichten Unternehmensengagement in einer Größendimension aktiviert, die nötig wäre, um Fluchtkrise, Klimakrise, Hunger, Not und Elend zu bekämpfen. Pro Jahr werden in Deutschland laut der jüngst von Wider Sense veröffentlichten DAX40-Studie etwa 900 Mio. Euro für gemeinnützige Zwecke gespendet. Würde Unternehmensengagement jedoch durch die Politik systematisch gefördert, so ließe sich dieser Betrag um ein Vielfaches steigern. Und dabei geht es nur um Spenden. Noch wirkungsvoller ist CSR, wenn sie ganzheitlich umgesetzt wird, also ins Kerngeschäft des Unternehmens rückt.

Würde man den Effekt davon monetarisieren, so ergäben sich gewaltige Summen. Es lässt sich nur erahnen, in welchen Dimensionen Unternehmen einen Beitrag leisten könnten. Gerade angesichts leerer Kassen nach den letzten zwei Jahren Corona-Pandemie und neuer drängender Herausforderungen wie dem Angriffskrieg gegen die Ukraine wird deutlich, dass darauf nicht verzichtet werden darf. Daher sollte die Bundesregierung das Thema CSR aktiv aufgreifen, auch wenn es nicht im Koalitionsvertrag steht. Tut sie dies nicht, wäre das eine vertane Chance.

Weichenstellung durch den Klimakanzler

Konkret sollte es darum gehen, wie Unternehmen zu mehr und zu strategischerem Engagement für Klimaschutz und Gesellschaft incentiviert werden können. Strategisch bedeutet hier, dass die Unternehmen mit ihrem Engagement mehr bewirken als bisher und dadurch ihr Beitrag zur Lösung der anstehenden Probleme um ein Vielfaches vergrößert wird.

Doch wie soll das genau aussehen? Die Bundesregierung wird einen geschickt austarierten Mix an Anreizen und Pflichten für Unternehmen schaffen müssen. Stellt sich die Frage, ob „Klimakanzler“ Olaf Scholz das auch so sieht. Zwei Faktoren könnten dies begünstigen:

Erstens: Wer Olaf Scholz‘ politisches Handeln in den letzten Jahren beobachtet hat, weiß, dass Klimaschutz nie eines seiner Kernanliegen war. Als aber das Thema im Zuge des vergangenen Wahlkampfes immer mehr Präsenz erlangte, lernte er schnell dazu. Er nahm sich des Themas an – vielleicht auch als wahltaktischen Zug – und besetzte es auch nach der Wahl. Um Erfolge beim Klimaschutz in seiner Amtszeit zu erreichen, wird er jedoch auf die Unterstützung der Unternehmen angewiesen sein – und zwar auch über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus. Womit wir beim Stellenwert von CSR sind. Wenn Olaf Scholz auch hier schnell lernt und strategisch handelt, wird er das Potenzial von CSR-Engagement erkennen und systematisch fördern.

Zweitens: Wer Olaf Scholz als Finanzminister beobachtete, hat bemerkt: Er verhielt sich bislang relativ zurückhaltend gegenüber ordnungspolitischen Eingriffen zugunsten des Klimaschutzes. Dies zeigte sich zum Beispiel an seiner Absage an eine neue CO2-Bepreisung im Jahr 2018, seiner Verweigerung die KfZ-Steuer ökologischer zu gestalten und seiner Vermeidung, sich zum konkreten Kohleausstieg festzulegen. Sein Ansatz hieß, Klimaschutz voranbringen und Nachteile für Unternehmen vermeiden. Diese Haltung verbindet ihn auch mit dem neuen Finanzminister. So stellte Christian Lindner klar, dass es darum geht, einen zukünftigen Erneuerungsschub aus dem öffentlichen Haushalt zu finanzieren, aber vorallem auch privates Kapital zu mobilisieren. Wer ordnungspolitische Eingriffe meidet und auf freiwillige Selbstverpflichtung baut, ist vom Mindset her beim Grundgedanken von CSR.

Steht die CSR-Ampel schon auf grün?

Die Bedingungen für einen Ausbau von CSR in Deutschland stehen also recht günstig. Doch was genau sollte konkret getan werden? Hier geht es vor allem um drei Bereiche, in denen angesetzt werden müsste:

1. CSR muss in der Bundesregierung besser verortet werden

Das Thema CSR muss in der Bundesregierung aufgewertet werden. Bisher liegt es im Ressortbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Der Nationale CSR-Aktionsplan und der CSR-Preis werden dort betreut. Außerdem gibt es auf einer eigenen Website Informationen rund um Nachhaltigkeitsberichterstattung, das neue Lieferkettengesetz, einen kleinen CSR-Self-Check und weiterführende Links. Das war es. Dabei ließe sich hier viel mehr draus machen. Andere Länder machen es vor, zum Beispiel Kanada: Die kanadische Regierung hängt das Thema prominent unter „Industry & Business“ auf und bietet eine breit ausgebaute Informationsplattform an. Dort wird das Thema CSR mit einem deutlich höheren Anspruch behandelt, stärker beworben und ehrgeiziger vermittelt. Umfangreiche Toolkits sind dort zugänglich, Unternehmen werden angehalten sich zu benchmarken und konkrete Beratung zu CSR-Fragen wird angeboten. Inhaltlich geht es nicht nur um niederschwellige Einstiegsthemen, sondern um Fragen für die Profis unter den Unternehmen. Zum Beispiel wird thematisiert „Wie lässt sich CSR skalieren?“ oder „Wie kann der Impact von CSR gemessen werden?“. Für im Ausland agierende Unternehmen bieten die kanadischen Botschaften eigene Events zu CSR-spezifischen Fragen vor Ort an.

Die Bundesregierung sollte ein ähnlich umfassendes Programm aufbauen. Damit hier kein Flickwerk entsteht, müsste sie allerdings zunächst eine nationale CSR-Strategie auf den Weg bringen, die diesen Namen verdient. In diesem Rahmen könnte eine professionelle Informationsstelle oder ein Center for Excellence in CSR aufgebaut werden. Dort angesiedelt würden Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft Standards für Nachhaltigkeitsengagement definieren, Stakeholderbedarfe zusammentragen und Vorschläge für Anreizsysteme entwickeln. Eine weitere Aufgabe wäre es, Formate zu finden, in denen sich auch kleine und mittelständische Unternehmen für CSR einsetzen können, ohne dabei überfordert zu werden.

Darüber hinaus müsste CSR auch in der politischen Arena zu einem Querschnittsthema gemacht werden. Es könnte zum Beispiel in den interministeriellen Ausschuss für Wirtschaft und Menschenrechte aufgenommen werden, in dem sich derzeit bereits 10 Bundesministerien in zweimonatigem Intervall abstimmen. Eine noch ambitionierte Variante existierte über 10 Jahre in Großbritannien. Das Land ist bis heute nicht umsonst Frontrunner in der Förderung von CSR. Denn dort gab es mehr als 10 Jahre lang sogar einen eigenen Minister für CSR. Sein Amt wurde damals unter Tony Blair im Jahr 2000 ins Leben gerufen. Doch soweit müsste man nicht gehen, es wäre schon ausreichend einen sogenannten CSR-Beauftragten der Bundesregierung zu ernennen. Diese Person wäre dann dafür zuständig und rechenschaftspflichtig, das Thema CSR in Deutschland zu treiben.

2. Die Bundesregierung muss ein starkes Awarness Rising für CSR schaffen

Die Bundesregierung sollte deutlicher als bisher thematisieren, welchen neuen Ansprüchen Unternehmensführung heute standhalten muss und was Unternehmen aber auch bereits erfolgreich leisten. Sie muss eine Brücke schlagen zu dem aktuellen Diskurs über Sustainable Business Leadership und der Frage, wie ein Neustart in der CSR-Praxis für Unternehmen aussehen kann. Denn durch die zunehmende Bedeutung von ESG-Kriterien, der EU-Sozialtaxonomie und dem Lieferkettengesetz ab 2023 in Deutschland, rückt das Nachhaltigkeitsbemühen von Unternehmen zunehmend in den Fokus von CEOs. Das war auch Gegenstand engagierter Diskussionen auf dem aktuellen Board Panel von Fortune, einem der einflussreichsten US-Wirtschaftsmagazine. Dort berichtete Amy Chang, bekannte Vorständin von Disney, Procter & Gamble, Margeta, SambaNova und Pragma vom enorm zugenommenen Druck in den Vorstandsetagen, ausgelöst durch die hohen eingeforderten ökologischen und sozialen Standards.

In Deutschland ließe sich dieser neue Spirit in einer großangelegten PR-Kampagne aufgreifen. Unter einem Motto wie „Doing Business the German Way“ ließe sich Aufklärungsarbeit für alle Stakeholdergruppen durchführen: Aktionärinnen und Kunden, Mitarbeiter und Investorinnen, Zuliefererinnen und Gläubiger.

Vor allem könnten auch diejenigen Gruppen erreicht werden, an denen die aktuellen Debatten bislang vorbeigezogen sind. Sie würden aufmerksam und inhaltlich anschlussfähig gemacht werden. Denn bislang finden Diskussionen über visionäres ökologisches und gesellschaftliches Unternehmensengagement mehrheitlich im Umfeld der großen kapitalmarktorientierten Unternehmen statt. Die Thematik in die breite Landschaft zu tragen, wäre der nächste wichtige Schritt.

Eine weitere Möglichkeit für die Bundesregierung wäre es, fortschrittliches Engagement in Unternehmen mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung vorzuleben. So geschieht es beispielsweise in Schweden, wo öffentliche Unternehmen sich als besonders positive Beispiele positionieren. Die schwedische Regierung drängt unter dem Motto „Swedish companies led by example“ seit 2007 darauf, staatliche Unternehmen als Vorbilder zu gestalten. Parallel betreibt die Schwedische Consumer Agency Kampagnen zur Aufklärung der Konsument*innen, um auch auf der Verbraucher*innenseite den Druck nach mehr nachhaltiger Geschäftspraktik zu verstärken.

3. Die Logik der Nachhaltigkeitsreports muss auf den Prüfstand

Seit 2017 sind große Unternehmen ab einer Größe von mehr als 500 Mitarbeitenden in Deutschland verpflichtet, einen Sustainability Report zu veröffentlichen. Einen einheitlichen Standard für diese Berichte gibt es bislang nicht. Stattdessen existieren verschiedene Formate je nach Branche, Größe und strategischer Ausrichtung des Unternehmens. Am weitesten verbreitet ist derzeit der sogenannte GRI (Global Reporting Initiative).

Die meisten der Nachhaltigkeitsberichte sind sehr umfangreich, informativ und professionell. Eines tut die überwiegende Mehrheit jedoch nicht: Sie bietet keine Information darüber, was tatsächlich bewirkt wurde. Wie hat sich denn die Gesundheit oder der Ausbildungsstand von Mitarbeitenden entlang der Lieferkette verbessert? Wurden Teilnehmende von Trainings tatsächlich Multiplikator*innen und gaben ihr Wissen weiter – mit welchem Effekt? Inwiefern konnten umweltschädliche Auswirkungen zurückgedrängt werden? Und wie schneiden diese Bemühungen im Vergleich zu den Vorjahren ab? Genau hier wird es doch interessant.

Wenn nicht die Wirkung im Mittelpunkt steht, dann droht Gefahr, dass einige der Berichte zu reinem Selbst-Marketing verkommen. Der Blick auf die Wirkung führt nämlich zunehmend dazu, dass CSR strategisch wird. Strategisches CSR konzentriert sich darauf, wie jede Handlung und jeder investierte Euro zu mehr positivem Outcome für alle Stakeholdergruppen führt. Unternehmen, die ihr soziales und ökologisches Engagement mit ihrem Kerngeschäft verknüpfen, stehen hier klar im Vorteil.

Doch wie ließe sich das fördern? Eine Möglichkeit besteht darin, ein verbindlicheres Format für die Berichte einzuführen. Darin wären explizite Fragen nach der Wirkung enthalten und weniger Raum für die bloße Auflistung von Aktivitäten gegeben. Denkbar wäre auch ein smart konzipierts Online-Template, welches genügend Raum für individuelle Anpassung bietet, ohne dabei beliebig zu werden. Ein weiterer Vorteil daran wäre, dass eine größere Vergleichbarkeit hergestellt werden könnte.

Eine Alternative zum verbindlichen Format wäre das aktive Werben für und Einfordern von Monitoring, Evaluierung und Learning (MEL) im Bereich von CSR. Dafür existieren erprobte Methoden auf dem Markt, die seit vielen Jahren für Impact Measurement bereits genutzt werden und von Unternehmen angewendet werden könnten. Der positive Nebeneffekt wäre, dass die Führung und die Mitarbeitenden der Unternehmen in einen Auseinandersetzungs- und Lernprozess treten. Sie müssten klären, was sie in der Welt verändern möchten und welchen Beitrag ihr Unternehmen dazu leisten kann.

Im Neuanfang liegt die Chance

Die hier vorgestellten drei Ansatzpunkte ließen sich weiter fortsetzen. Sie zeigen, dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, das ungenutzte Potential von Unternehmen zu aktivieren. Anregungen aus dem Ausland gibt es genug. Jetzt ist ein geeigneter Zeitpunkt für die Bundesregierung im Bereich CSR nicht nur anzukündigen etwas anders zu machen, sondern es auch zu tun. Wenn sie es ernst meint und einen Erneuerungsprozess anstoßen will, kommt sie um die Gestaltung einer neuen CSR-Kultur nicht umhin. Und zu deren Kernbestandteil gehört es auch, sich Verstärkung aus der Corporate World zu sichern. Wenn das gelingt, ließe sich die bisher vertane Chance wirkungsvoll wieder wettmachen. Und aus dem gemeinsamen politischen Vernachlässigen der Frage, wie Unternehmen eingebunden werden könnten, würde ein geeintes Bemühen darum, dieses brachliegende Potential zu aktivieren.

Bundeskanzleramt in Berlin unter einer Schlechtwetterwolke. Symbolbild für den Beitrag von Anna Wolf zur CSR-Strategie der neuen Bundesregierung. Foto: Fionn Große, unsplash.com
Ohne stärkere Beteiligung der Unternehmen könnte es für Klimakanzler Olaf Scholz ungemütlich werden. Foto: Fionn Große, unsplash.com

Contact

  • Anna Wolf
    ist Senior Consultant bei Wider Sense. Sie berät seit 10 Jahren internationale Unternehmen zur Strategieentwicklung und Umsetzung von CSR. Zuvor gründete sie ein Start-up im Nachhaltigkeitsbereich und arbeitete in der Politikberatung als Referentin der Friedrich-Ebert-Stiftung.

    wolf@widersense.org