Wie Unternehmen bei Katastrophen sinnvoll helfen können

Drei Fragen an: Landrat Steffen Burchhardt, der 2013 beim Elbehochwasser dabei war

von Lukas Kolig und Christian Schrade

Wie können Unternehmen bei Katastrophen sinnvoll helfen? Daimler schickt Geländefahrzeuge, Obi Trocknungsgeräte, Oetker Pizzen für Helfer – viele Unternehmen haben in den vergangenen Wochen eigene Aktionen in Sachen Hochwasserhilfe gestartet. Darunter viele Geld-, aber auch Sachspenden. Was brauchen betroffene Regionen in solchen Situationen wirklich? Und welche Rolle spielt Unterstützung durch Unternehmen nach solchen Katastrophen? Dazu haben wir Dr. Steffen Burchhardt gefragt. Er ist Landrat des Landkreises Jerichower Land nahe Magdeburg und hat das Jahrhunderthochwasser an der Elbe 2013 persönlich erlebt.

Herr Burchhardt, wie können Unternehmen sinnvoll helfen, die sich für Flutopfer engagieren wollen? Was ist hier passend, was nicht?

Steffen Burchhardt: Bei der akuten Bewältigung der Krise 2013 haben uns die Unternehmen vor Ort umgehend und unbürokratisch Technik und Material zur Verfügung gestellt. Was wir im Kampf gegen das Elbe-Hochwasser brauchten, das hat man uns geliefert. Die haben ihre Leute geschickt, ihre Technik, ihre Lkws … die sind gekommen und haben einfach gemacht. Das ist schon ein großer Beitrag gewesen.

Aber wenn das Hochwasser abgezogen ist, ist das nicht die entscheidende Größe: Wichtig ist dann vor allem, dass jedes Unternehmen weiter produzieren kann, Dienstleistungen anbietet und zuverlässig Jobs zur Verfügung stellt. Das ist nämlich der größte Stabilisator für eine Region: Die Menschen müssen in Lohn und Brot stehen, ohne dass Gelder reduziert und Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt werden. Wenn die Leute ihre Arbeit haben, dann sind sie auch in der Lage, nach und nach Dinge wieder aufzubauen.

Das Hochwasser der Ahr überflutet mehrere Häuser in Insul im Jahr 2021, Foto: Nick_ Raille_07, shutterstock.com
Das Hochwasser der Ahr überflutet mehrere Häuser in Insul im Jahr 2021, Foto: Nick_ Raille_07, shutterstock.com

„Wer sich nur in Szene setzen will, erreicht oft das Gegenteil von sinnvoller Hilfeleistung.“

Und was ist mit Unternehmen, die nicht aus der Region kommen?

Auf der einen Seite begrüßt man jede Unterstützung … trotzdem bin ich hier gespaltener Meinung. Für das ein oder andere Unternehmen ist ein solches Engagement oftmals auch eine Marketing-Aktion. Die betroffenen Menschen sind sehr sensibel, die spüren so etwas. Und niemand will zum Werbegag werden, erst recht nicht, wenn man selbst betroffen ist. Von daher mahne ich zur Vorsicht: Wer es ernst meint und nicht nur auf den letzten Euro guckt und helfen will, der ist sehr willkommen. Wer sich nur in Szene setzen will, das gilt im Übrigen auch für Politiker, erreicht damit oft genau das Gegenteil von sinnvoller Hilfeleistung.

Jedes Unternehmen sollte sich vorher fragen: Wollen wir das wirklich? Dann müssen wir so helfen, wie es vor Ort am dringendsten gebraucht wird. Und nicht, wie wir uns am besten in Szene setzen können. Es gibt hier, wie überall, leuchtende Vorbilder, aber auch schwarze Schafe.

„Am wichtigsten ist, genau zuzuhören und danach seine Hilfe auszurichten.“

Wie sieht das denn mit Sachspenden und privater Hilfe aus?

Jemandem, der nicht aus der betroffenen Region kommt, würde ich nicht empfehlen dorthin zu reisen, um dann vor Ort nicht zu wissen, was es eigentlich zu tun gibt. So etwas muss gut koordiniert sein. Deswegen ist es am wichtigsten ganz genau zuzuhören, wenn eine betroffene Region einschätzt, welche Hilfe und welche Ressourcen gebraucht werden.

Das gilt insbesondere auch für Sachspenden: Solidarität aus ganz Deutschland hilft natürlich sehr, aber es nützt nichts, wenn unkontrolliert Gegenstände und Ausrüstung eingesammelt und quer durch Deutschland geschickt werden. Für die Betroffenen ergeben Sachspenden nur Sinn, wenn die Spender jetzt nicht anfangen, ihre Wohnungen zu entrümpeln.

Gleiches gilt für Spenden von Unternehmen, die vor Ort nicht in erster Linie gebraucht werden. Ansonsten hat bei uns 2013 vor allem die finanzielle Unterstützung von außen geholfen. Die eigenen Bedürfnisse kennt man selbst am besten. Alles, was davon abweicht, ist ein Energieverlust. Deswegen rate ich auch Unternehmen wie Privatpersonen: Oft ist es am hilfreichsten Geld zu spenden. Denn das kommt schnell an und die Menschen vor Ort können sich genau das holen, was gebraucht wird. Das können Unternehmen aus anderen Regionen oft schlicht nicht gut einschätzen.

Dr. Steffen Burchhardt, Landrat Jerichower Land. Foto: LKJL

Zur Person

Dr. Steffen Burchhardt ist Wirtschaftswissenschaftler und seit 2014 Landrat des Landkreises Jerichower Land in der Nähe von Magdeburg in Sachsen-Anhalt. 2013 erlebte er das Jahrhunderthochwasser der Elbe persönlich mit: Viele seiner Freunde und Bekannten haben ihr gesamtes Hab und Gut im Hochwasser verloren, sagt er. Wobei seine Region damals im Vergleich zu der dramatischen Situation heute fast schon glimpflich davongekommen sei, so Burchhardt. Jede und jeder der einmal so einen Totalverlust erlebt habe, fühle jetzt mit den betroffenen Menschen mit: „Das sind wirklich schwierige Momente.“

Engagement bei Katastrophen

Das sollten Unternehmen beachten

Wenn Unternehmen bei Katastrophen sinnvoll helfen wollen, sollten sie einige wichtige Punkte beachten:

  • Hochwasser und andere Katastrophen sind eine humanitäre Notsituation: Hier gilt es, am Anfang vor allem die Erst-Helfer*innen wie THW, Rotes Kreuz, Feuerwehr etc., sowie die Betroffenen zu unterstützen.
  • Die Direkthilfe für Menschen geschieht im Idealfall in Kooperation mit Akteuren vor Ort, welche die Region kennen, wie z. B. Bürgerstiftungen.
  • Die eigenen Kernkompetenzen mitdenken: So können beispielsweise Automobilunternehmen Fahrzeuge, Pharmakonzerne Medikamente oder Logistikunternehmen entsprechende Logistiklösungen zur Verfügung stellen. Wichtig ist: Dies funktioniert am besten, wenn bereits langjährige Partnerschaften mit den entsprechenden Hilfsorganisationen bestehen.
  • Unternehmen sollten Mitarbeitende, die selbst betroffen sind oder für Hilfsorganisation arbeiten, bezahlt freistellen. Bei einigen Organisationen, wie z. B. dem THW, ist dies ebenfalls gesetzlich geregelt.
  • Partner*innen vor Ort sollten sich mit der öffentlichen Hand abstimmen, die vor allem in der Wiederherstellungs-Phase den Überblick hat und mit den Bürger*innen eine Vision für die Zukunft entwickelt.
  • Für eine langfristige Hilfe sollten Unternehmen vor allem auch noch dann Engagement zeigen, wenn sich die Berichterstattung der Medien abschwächt. Die Qualität von Unterstützungsarbeit wird nicht in Publicity, sondern in Wirkung gemessen. Andersherum werden nur durch langfristige, wirkungsvolle Engagements vertrauensvolle Stakeholder-Beziehungen aufgebaut, die auch dem Unternehmen langfristig nützen können.