Nachhaltigkeitsratings - Vernachlässigen sie das Potential von Corporate Citizenship?

Notes from the Field #1/2017

Nachhaltigkeitsratings – Vernachlässigen sie das Potential von Corporate Citizenship?

Notes from the Field“ in weniger als 100 Wörtern:

  • Nachhaltigkeit ist ein facettenreicher Begriff, der in der Gesellschaft und bei Unternehmen
    zunehmend an Bedeutung gewinnt
  • In der öffentlichen Nachhaltigkeitsdebatte wird das gesellschaftliche Engagement außerhalb der Geschäftstätigkeit (Corporate Citizenship) jedoch oft vernachlässigt
  • Auch prominente Nachhaltigkeitsratings fokussieren sich vorrangig auf die ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung von Unternehmen und betrachten Corporate Citizenship lediglich als
    eine Unterkategorie, die mit wenigen Kriterien analysiert wird
  • Aufgrund fehlender Vorgaben und dem Streben nach einer Auszeichnung orientieren sich Unternehmen in ihrem Handeln oft unreflektiert an den Kriterien der Ratings und laufen so Gefahr, die innovationsfördernden Kräfte von Corporate Citizenship zu unterschätzen

Corporate Citizenship – ein unbekanntes Feld

Nachhaltigkeit ist ein zunehmend wichtiges Thema in der Unternehmenswelt. Bei dem facettenreichen Begriff geht es nicht nur um die nach innen gerichtete ökonomische, ökologische und soziale Verantwortung der Unternehmen, sondern auch um Corporate Citizenship1 – das gesellschaftliche Engagement außerhalb der Geschäftstätigkeit. Viele Unternehmen bewegen sich gerade hierbei jedoch auf für sie unbekanntem Terrain.

Auf der Suche nach Orientierung stoßen Unternehmensvertreter vermehrt auf Ratings², die ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten analysieren und bewerten. Der direkte Vergleich mit Wettbewerbern und die Aussicht auf ein Siegel, mit dem sie sich als besonders nachhaltig oder gesellschaftlich aktiv auszeichnen können, bekräftigt die Unternehmen darin, die Bewertungskriterien der Ratingorganisationen zum Maßstab ihres eigenen gesellschaftlichen Handels zu machen.

Corporate Citizenship in Nachhaltigkeitsratings

Die oft unreflektierte Fokussierung auf vorgegebene Bewertungskriterien ist jedoch kritisch zu betrachten. Ein erster Blick in die Bewertungsabläufe der Nachhaltigkeitsratings lässt vor allem im Bereich Corporate Citizenship drei zentrale Schwachstellen erahnen:

  • Aufbauend auf einem Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit bewerten Ratings Unternehmen in der Regel anhand ihrer ökonomischen, ökologischen und sozialen Leistung. Corporate Citizenship wird dabei lediglich als Unterkategorie klassifiziert.
  • Dementsprechend wird Corporate Citizenship in relevanten Nachhaltigkeitsratings nur mit wenigen Kriterien abgefragt. Diese Verknappung wird der Relevanz des Themas nicht gerecht.
  • Aktuelle Trends wie Social Innovation oder Corporate Impact Investing werden in den Nachhaltigkeitsratings nicht ausreichend abgebildet.

Dabei steckt vor allem hier großes Potential für Unternehmen und Gesellschaft.

Diese Annahmen stehen in Kontrast zu aktuellen Entwicklungen, die die Bedeutung von Corporate Citizenship gerade für international agierende Unternehmen zusätzlich erhöhen. Hierzu gehören rechtliche Vorgaben wie der Companies Act 2013, der Unternehmen in Indien vorschreibt, 2% ihres Gewinns gemeinnützigen Zwecken zur Verfügung zu stellen. Ebenso erhöhen auch Entwicklungen wie der demographische Wandel und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Herausforderungen wie Fachkräftemangel den Druck auf Unternehmen, ihrer Verantwortung in der Gesellschaft gerecht zu werden. Weltweit haben sich verschiedene Ratingorganisationen des Themas Nachhaltigkeit angenommen. Die Praxis zeigt, dass die dabei erzielten Ergebnisse eine immer wichtigere Rolle in der Unternehmenswelt spielen.

Die vorliegende Ausgabe der Notes from Field wirft daher einen genaueren Blick in ausgewählte Beispiele, um der tatsächlichen Bedeutung von Corporate Citizenship in Nachhaltigkeitsratings auf den Grund zu gehen. Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen kleinen Ausschnitt der existierenden Ratinglandschaft.

Beispiel 1: oekom Corporate Rating

Das oekom Corporate Rating wird in regelmäßigen Abständen von der Münchner Ratingagentur oekom research AG durchgeführt. Das Rating erfolgt ohne Beauftragung und umschließt mittlerweile rund 3.700 Unternehmen weltweit.

Hierbei wird ein absoluter Best-in-Class-Ansatz angewandt. Absolut bedeutet hier, dass es nicht vorrangig darum geht, die Unternehmen in Relation zu ihren Mitwettbewerbern zu setzen. Stattdessen werden sie im Anschluss an ein Environmental und ein Social Rating auf einer Skala von D- (schlecht) bis A+ (exzellent) eingeordnet. Übersteigt das Ergebnis einen von der oekom research AG festgelegten Richtwert, wird den Unternehmen der oekom Prime Status verliehen, den bis heute rund 550 Unternehmen erhalten haben. Obwohl es sich um ein nicht von den Unternehmen in Auftrag gegebenes Rating handelt, steht die oekom research AG in Kontakt mit den Unternehmen, um die Datenbasis auszuweiten.Darüber hinaus erfolgen ein enger Austausch mit unabhängigen Experten sowie ein umfangreiches Medienscreening.

Insgesamt ergibt sich eine umfassende Bewertung der Nachhaltigkeit. Corporate Citizenship in Form gesellschaftlichen Engagements stellt dabei nur eine Unterkategorie dar, die mit vier Kriterien bewertet wird: (1) Ziele und (2) Art des gesellschaftlichen Engagements, (3) Monitoring und Evaluation sowie (4) Offenlegung der Ausgaben. Damit bleibt das Thema des gesellschaftlichen Engagements innerhalb des oekom Corporate Ratings überschaubar. Aufgrund fehlender Transparenz kann zudem nicht nachvollzogen werden, mit welchen Indikatoren die Bewertung erfolgt und welche Maßstäbe angesetzt werden.

Beispiel 2: Good Company Ranking

Zusammen mit der HHL Leipzig Graduate School of Management veröffentlichte Kirchhoff Consult im Herbst 2016 die fünfte Ausgabe der Good Company Ranking. Zum ersten Mal fokussiert sich die Unternehmensberatung dabei ausschließlich auf die 30 DAX Unternehmen.

Das umfassende Ranking spaltet sich in vier unternehmerische Verantwortungsbereiche: Gesellschaft, Mitarbeiter, Umwelt und Financial Integrity. Diese werden von Expertenteams anhand verschiedener Kriterien getrennt voneinander untersucht. Die Ergebnisse der einzelnen Bereiche werden von einer sechsköpfigen Fachjury bewertet und fließen anschließend gewichtet in ein Gesamtergebnis ein. Je nach Punktzahl werden den Unternehmen dabei die Noten sehr gut, gut, durchschnittlich oder mangelhaft zugeteilt.

Corporate Citizenship lässt sich in der Sparte Gesellschaft verorten, die durch den Einbezug kunden- und lieferkettenbezogener Kriterien jedoch sehr umfangreich gestaltet ist. Das direkte gesellschaftliche Engagement wird hingegen mit lediglich zwei Fragen untersucht. Hierbei geht es um (1) Art und Umfang der Aktivitäten sowie um (2) das regionale Engagement der Unternehmen.

Ein gutes Abschneiden ist den Unternehmen in diesen Kategorien dann gesichert, wenn sie einen systematischen Ansatz mit Bezug zum Kerngeschäft verfolgen, die Eigenständigkeit geförderter Projekte sichern und den Gesamtumfang ihres Engagements deutlich darstellen. Zusätzlich wird ein nachhaltiges Fördern, Stiften und Spenden mit Bezug zur Mehrzahl der Unternehmensstandorte positiv bewertet.

Durch die transparente Kommunikation der Kriterien und ihrer Inhalte werden die Erwartungen der Rankingersteller an die Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft offen dargelegt. Trotz der separaten und umfangreichen Bewertung des Verantwortungsbereichs Gesellschaft bleibt die Bewertung des aktiven gesellschaftlichen Beitrags dennoch begrenzt.

Beispiel 3: Dow Jones Sustainability Index

Für viele Unternehmen ist der Dow Jones Sustainability Index (DJSI) einer der bedeutendsten Nachhaltigkeitsindizes. Seit 1999 wird die Indexfamilie von dem Schweizer Vermögensverwalter RobecoSAM in Kooperation mit dem amerikanischen Indexanbieter S&P Dow Jones Indices veröffentlicht.

Die Grundlage für das Benchmark ist das von RobecoSAM durchgeführte Corporate Sustainability Assessment (CSA), zu dem jährlich mehr als 3.000 der weltweit größten Unternehmen eingeladen werden. Diese Unternehmen des sogenannten Invited Universe werden in 59 Industriezweige eingeteilt und haben die Möglichkeit, einen branchenspezifischen Online-Fragebogen auszufüllen.

Um eine 50-prozentige Abdeckung der Marktkapitalisierung innerhalb aller Branchen zu garantieren, analysiert RobecoSAM neben den eingereichten Fragebögen weitere Unternehmen aus dem Invited Universe anhand von öffentlich zugänglichen Daten. Dadurch kommt es jedoch zu Abweichungen bei der Informationsgrundlage für die einzelnen Bewertungen. Im Jahr 2015 wurden so mehr als 2.100 Unternehmen bewertet.

Der Fragebogen für den DJSI enthält ökonomische, ökologische und soziale Kategorien, die je nach Branche angepasst und gewichtet werden. Am Ende wird jedem Unternehmen ein Sustainability Score zugewiesen, der maximal 100 Punkte erreichen kann. Aus jeder Branche werden die besten 10% in den DJSI aufgenommen. Somit handelt es sich auch bei dem DJSI um einen Best-inClass-Ansatz.

Corporate Citizenship wird dabei mit einer eigenen Kategorie bewertet, die drei Unterkategorien enthält: Konzernweite Strategie, Art und Höhe der philanthropischen Aktivitäten. Diese Themen werden mit verschiedenen Indikatoren abgefragt, die aufgrund der hohen Methodentransparenz
von RobecoSAM auch für Dritte gut ersichtlich sind.

Eingeschränkte Transparenz zeigt sich hingegen bei den Ergebnissen. Man erfährt, wer in den Index aufgenommen wurde und auch die Branchenführer werden genannt. Wie die einzelnen Unternehmen in den unterschiedlichen Kategorien abgeschnitten haben, bleibt allerdings offen. Somit lassen sich auch keine Schlüsse auf das Abschneiden als Corporate Citizen ziehen.

Corporate Citizenship – ein unterschätztes Feld

Der tiefere Blick in die Nachhaltigkeitsratings bestätigt die Annahme, dass das Thema Corporate Citizenship meist nur eine eher untergeordnete Rolle in der Bewertung spielt.

Im Rahmen des Ratingprozesses wird das freiwillige gesellschaftliche Engagement zusammen mit Kriterien beurteilt, die das operative Geschäft der Unternehmen betreffen. Als Konsequenz droht Corporate Citizenship als eigenständiger Ansatz an Bedeutung zu verlieren – bei der Bewertung und somit auch bei den Unternehmen.

Aktuelle Entwicklungen im Bereich gesellschaftlichen Engagements zeigen aber, dass es sich durchaus lohnt, Corporate Citizenship separat zu betrachten und dem Konzept mehr Platz einzuräumen. Schon lange geht es dabei nicht mehr einfach nur darum, Spenden zu sammeln und Wände in Kindergärten anzustreichen. Viel mehr treten bereits erwähnte Ansätze wie Social Innovation oder Impact Investing in die öffentliche Debatte und verdeutlichen, was möglich ist, wenn man sich dem Thema Corporate Citizenship strategisch nähert. Somit steht es außer Frage, dass gesellschaftliches Engagement mehr Chancen für Unternehmen und Gesellschaft bereit hält, als es seine Rolle in herkömmlichen Nachhaltigkeitsratings suggeriert.

Diese Erkenntnis ist sektorübergreifend von Relevanz. Zum einen für Unternehmen, die sich in ihrem Handeln unreflektiert an den Ratingkriterien orientieren und so riskieren, das Potential von Corporate Citizenship zu verkennen. Zusätzlich sollten sich auch gesellschaftliche Akteure wie gemeinnützige Organisationen die Verknappung des Themas Corporate Citizenship vergegenwärtigen. Durch eine stärkere Beachtung des gesellschaftlichen Engagements könnten gemeinnützige Akteure ihre eigene Position gegenüber Unternehmen verbessern und schließlich erfolgreichere Partnerschaften mit diesen eingehen.

Bislang schenkt der Dritte Sektor jedoch den Nachhaltigkeitsratings und deren Einfluss auf unternehmerisches Handeln noch zu wenig Aufmerksamkeit. Um die aufgezeigte Lücke innerhalb herkömmlicher Nachhaltigkeitsratings zu schließen, hat Beyond Philanthropy ein eigenes, auf Corporate Citizenship ausgerichtetes Bewertungsinstruments entwickelt, das in der Zusammenarbeit mit internationalen Konzernen bereits erfolgreich getestet wurde. Wir konnten dabei das Beyond Philanthropy Benchmarking nutzen, um Stärken und Schwächen im Bereich Corporate Citizenship zu identifizieren und unsere Unternehmenskunden mit ihren engsten Wettbewerbern zu vergleichen.

Gerne wenden wir unser Tool auch auf Ihr Unternehmen an und zeigen Ihnen, welche Chancen sich auch für Sie durch einen strategischen Corporate-Citizenship-Ansatz ergeben.

1: Im allgemeinen Sprachgebrauch ist oft die Rede von CSR, wenn eigentlich Corporate Citizenship – also das direkte gesellschaftliche Engagement von Unternehmen – gemeint ist
2: In den Begriff des Ratings sind hier auch Bewertungen in Form eines Rankings oder einer Indexierung eingeschlossen, da auch diesen Methoden anfangs stets ein Ratingprozess zugrunde liegt