Vertrauen – Währung der Europäischen Philanthropie?

In einem kürzlich erschienenen Artikel gewährt das Magazin Economist einen faszinierenden Einblick in die Welt der internationalen Philanthropie. Dabei wurde ein bedeutender Trend hervorgehoben: der Philanthrokapitalismus. Während vermögende Akteure in der anglo-amerikanischen Welt zunehmend nach unternehmerischen Prinzipien spenden, bleibt Kontinentaleuropa seltsam abwesend.

Eine  Reaktion auf den Special Report „Philanthropy“ des Economist von Michael Seberich

Mittlerweile ist es keine Neuheit mehr: Dies sind bewegte und besorgniserregende Zeiten. Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, Klimawandel, Kriege in der Ukraine und in Nahost, Bildung, Wohnungsbau, Inflation… Die Liste der Themen, die unsere Gesellschaft in Atem halten, scheint unendlich. Wie reagiert die Philanthropie in Deutschland darauf? Die „Menschenliebe“, die sich ausdrückt im Geben von finanziellem, intellektuellem und sozialem Kapital. Institutionalisiert meist in Form von Stiftungen.

Die internationale Wochenzeitung Economist hat Anfang Januar 2024 einen Blick auf die internationale Philanthropie geworfen, wobei Kontinentaleuropa dabei nicht vorkommt. Die Zeitschrift hat im Jahr 2006 den „Philanthrokapitalismus“ ausgerufen, als zentralen, an unternehmerischen Prinzipien orientierten Trend, wie die Vermögenden dieser Welt geben. Der Economist hatte damals vorausgesagt, dass diese Professionalisierung des Gebens viel mehr Geld für heimische und globale Herausforderungen mobilisieren wird. All dies mit dem Fokus auf die anglo-amerikanische Welt des Gebens, die aus europäischer Sicht immer großartiger erscheint, was die Namen und Geldbeträge betrifft.

Trotzdem hat die Diskussion um den „Philanthrokapitalismus“ Stiftungen und Geben in Europa beeinflusst. So haben Stiftungen ihre Prozesse professionalisiert. Wirkung ist zu einer Währung geworden und es ist eine kleine, aber sehr engagierte Gruppe von Philanthropie-Profis entstanden.

Die Volumina des Gebens sind in Europa mit jährlich 54,5 Milliarden Euro und in Deutschland mit Gesamtausgaben von 10,7 Milliarden Euro (Philea 2023:24), wie im Übrigen auch im anglo-amerikanischen Raum, nicht substanziell gestiegen. Wir scheinen ein Plateau erreicht zu haben, mit Ausnahme von Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika, wo eine Philanthropie der Vermögenden gerade entsteht. Auch dies ist mittlerweile Gemeingut, in einer Zeit, in der das Vermögen wohlhabender Menschen überwiegend weitergewachsen ist, wie Oxfam in seinen Studien immer wieder zeigt (OXFAM 2023).

Der Economist verweist darauf, dass sich in den USA Vermögende von dieser von Manager*innen gesteuerten Philanthropie abwenden. Prominentes Beispiel ist McKenzie Scott, die ehemalige Frau von Amazon Gründer Jeff Bezos, die mittlerweile 16.5 mehrere Milliarden US-Dollar an gemeinnützige Organisationen in den USA und darüber hinaus verteilt hat, all diese als „Zweck-ungebundene“, freie Mittel (FORTUNE 2023). Geld, um Organisationen so zu stärken und gesellschaftliche Probleme so anzugehen, wie es die Akteur*innen im Feld oder die Betroffenen selbst für richtig halten. Hier wird einfach vertraut.

Im Englischen nennt sich diese Bewegung „trust-based philanthropy“. Mit Blick auf die Wohlfahrtstraditionen in Europa, die soziale Marktwirtschaft in Deutschland ist es doch eigentlich keine Überraschung, dass Vertrauen und Kooperation zentral sind, um Gesellschaft zu gestalten. Trotzdem fällt uns dies im Stiftungswesen, der Philanthropie in unserem Land häufig schwer. Gesellschaftliche Herausforderungen lassen sich eben nicht immer mit wirtschaftlichen Logiken lösen. Veränderung in der Gesellschaft ist meist nur komplex zugreifen. Wirkung wird häufig erst in der Reflexion von Veränderungen erkennbar und später in Zahlen, Daten, Fakten.

Deutschland und Europa haben eine lange Tradition des Gebens, des Stiftens. Der erste soziale Wohnungsbau, viele Krankenhäuser, Schulen, Zoos, Museen, aber auch Ideen in der Bildung, der Wissenschaft, beim Schutz des Klimas und anderen Bereichen wären ohne Philanthropie ärmer. Dieses Erbe, welches bis ins Jetzt reicht, kann nur aufrechterhalten werden, wenn Partizipation, weniger Bürokratie, mehr Zuhören, Bescheidenheit und eben viel mehr Vertrauen in eine aktive Zivilgesellschaft, wieder an Bedeutung gewinnen. Geben auf Augenhöhe wird in diesen Zeiten immer wichtiger, denn gesellschaftlicher Zusammenhalt in der Demokratie beruht vor allem auf dieser. Eine Gesellschaft, in der das Geben nicht gepflegt wird, riskiert zu verarmen.

Ein gutes Beispiel für ein Neu-Denken von Möglichkeiten ist die Stiftungsinitiative #VertrauenMachtWirkung. Diese Initiative besteht derzeit aus 35 Stiftungen aus Deutschland und der Schweiz. Sie ist eine Antwort auf die Debatten in der englischsprachigen Welt rund um trust-based philanthropy oder „modern grantmaking“. #VertrauenMachtWirkung basiert auf 9 Überlegungen für die Stiftung der Zukunft. Eine davon lautet: „Stiftungen der Zukunft arbeiten in Partnerschaften und Netzwerken zusammen. Sie schätzen Synergien, die sich aus Partnerschaften ergeben können, und betrachten Netzwerke nicht als Selbstzweck. Sektorenübergreifende Partnerschaften zwischen öffentlichen Einrichtungen, Unternehmen, Stiftungen. Bürgern, gemeinnützigen Organisationen und Aktivisten können vielfältige Auswirkungen haben: Sie bündeln die individuellen Anstrengungen, erhöhen die Reichweite, verbessern das gegenseitige Verständnis und erweitern das Wissen der beteiligten Akteure.“ Es gibt gute Beispiele für die Zusammenarbeit in der Philanthropie, wie die Giving-Circle-Bewegung. Klar ist, wir brauchen mehr und wir sollten mehr darüber wissen, wie sie funktionieren. Sie können ein Schlüssel für eine zukünftige, europäische Philanthropie sein.

Quellenverzeichnis

Fortune, 2023: MacKenzie Scott donated $2 billion to charity this year or a total of $16.5 billion since starting her quest to give away everything until the safe is empty.

OXFAM, 2023: Richest 1% bag nearly twice as much wealth as the rest of the world put together over the past two years.

Philea 2023: Philanthropy in Europe.

Philea 2023: Deutschland hat eine Gesamtausgabe.

Weiterführende Lesehinweise zur Philanthropie

  • What is Philanthropy for? Das aktuelle Buch von Rhodri Davies aus dem Jahr 2023

  • How Philanthropy is changing in Europe aus dem Jahr 2017 von Christopher Carnie

  • Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs aus dem Jahr 1923 von Marcel Mauss

  • Die Anthropologie der Gabe aus dem Jahr 2008 von Alain Caillé