Das Ende der Wohltaten: Die Trennung von CSR und „Kerngeschäft“ ist bald von gestern

Lösen sich die Grenzen zwischen kommerziellem Handeln und nicht-kommerziellem gesellschaftlichen Engagement auf? Das haben wir bei einer unserer vergangenen CSR-Suppenküchen gefragt – unserer informellen virtuellen Mittagspause für Expert*innen und Entscheider*innen gesellschaftlichen Unternehmensengagements. Unsere Autoren Uwe Amrhein und Karenina Schröder waren sich einig: Glücklicherweise gebe es erste ermutigende Anzeichen dafür.

ein Debatten-Beitrag von Uwe Amrhein und Karenina Schröder

Man kann darüber lästern, dass der Begriff „Purpose“ gerade als Modewort durch viele Chefetagen geistert. Klar, das Wort eignet sich gut fürs Bullshit-Bingo an Konferenztischen und in Zoom-Räumen. Dahinter steckt aber ein richtiger Gedanke: Das Unternehmen der Zukunft hat nicht Gewinnmaximierung als vorrangiges Ziel, sondern die Produktion von nachhaltigen Waren und Dienstleistungen, die gesellschaftlichen Nutzen stiften.

Wenn das gelingt, braucht man dann überhaupt noch eine CSR-Abteilung? Lösen sich die Grenzen zwischen kommerziellem Handeln und nicht-kommerziellem gesellschaftlichen Engagement auf? Für die Zukunft des Planeten wäre es zu hoffen. Und es gibt Anzeichen dafür.

Drei Archetypen gesellschaftlichen Engagements

Grob lassen sich drei Protagonisten für drei unterschiedliche CSR-Strategien unterscheiden:

  • Die Wohltäter siedeln ihr gesellschaftliches Engagement möglichst weit entfernt vom Kerngeschäft an, um Vorwürfen des Green- oder Whitewashings von vornherein zu entgehen.
  • Die Schadenbegrenzer versuchen, die negativen Folgen ihres wirtschaftlichen Handelns für die Allgemeinheit durch nicht-kommerzielle Aktivitäten teilweise auszugleichen. Sie bekämpfen mit ihrer CSR ein Problem, das sie zuvor im Business selbst mit verursacht haben.
  • Die Integratoren hingegen verfolgen mit ihrem kommerziellen Handeln und ihrem gesellschaftlichen Engagement ein identisches Ziel. Sie unterscheiden nicht mehr zwischen CSR und dem sogenannten Kerngeschäft. Beides soll auf eine positive gesellschaftliche Wirkung einzahlen.

Das Modell der Integratoren birgt die größten Herausforderungen, aber auch die größten Chancen. Denn hier wirkt gesellschaftliches Engagement auf zwei Ebenen. Zum einen entwickelt das Unternehmen im Zuge seiner gemeinnützigen Aktivitäten zusätzliche Kompetenzen und Netzwerke – beispielsweise in der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen oder öffentlichen Institutionen. Diese zusätzlich gehobenen ideellen Ressourcen können durchaus auf den wirtschaftlichen Erfolg – zum Beispiel bei der Entwicklung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen – einzahlen. Zum anderen stärkt ein Transformationsprozess im wirtschaftlichen Handeln den Erfolg und die Glaubwürdigkeit der gemeinnützigen Aktivitäten.

Trennung zwischen „Kerngeschäft“ und CSR verschwindet

Kurz: Die bisher zumeist starre Trennung zwischen „Kerngeschäft“ und CSR löst sich bei den Integratoren auf. Das Unternehmen als Corporate Citizen, also als institutioneller Bürger, will ganzheitlich positiv auf gesellschaftliche Belange wirken – mit allen zur Verfügung stehenden Instrumenten.

Wohlgemerkt: Wenn hier von einer sich auflösenden Trennung zwischen dem gemeinnützigen und dem wirtschaftlichen Handeln die Rede ist, sind selbstverständlich die Grenzen zu beachten, die der Gesetzgeber mit gutem Grund im Gemeinnützigkeits- beziehungsweise Steuerrecht setzt. Es sollte klar sein, dass eine unternehmensnahe gemeinnützige Einrichtung, wie beispielsweise eine Stiftung, nichts unternimmt, was dem ihr nahestehenden Unternehmen im Wettbewerb hilft. CSR, egal in welcher Rechtsform sie betrieben wird, darf kein Marketinginstrument sein.

Eine der Herausforderungen für die Strategen besteht folglich darin, die organisatorischen und rechtlichen Grenzen zwischen gemeinnützigem und wirtschaftlichem Handeln einerseits glaubhaft zu wahren, andererseits aber beides als Teil eines ganzheitlichen Transformationsprozesses, als einen sich wechselseitig verstärkenden Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel, zu verstehen.

Das funktioniert nur, wenn gesellschaftliches Engagement für mehr Nachhaltigkeit in seinen drei Dimensionen – Gesellschaft, Umwelt und nachhaltiges Wirtschaften – eine Entsprechung in den Aktivitäten des Unternehmens selbst findet. Gesellschaftliches Engagement für mehr Diversität und Geschlechtergerechtigkeit ist wenig glaubwürdig, wenn es nicht auch entsprechende Aktivitäten im eigenen Unternehmen gibt. Engagement für den Umweltschutz ist nicht glaubwürdig, wenn das Unternehmen sich dies nicht auch für die eigene Produktion auf die Fahnen schreibt. Immerhin: Vorgenommen haben sich das viele. So haben sich zum Beispiel Unternehmen, die 65 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung ausmachen, verpflichtet, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften.

Gelegentliche Nachhaltigkeitprojekte sind keine nachhaltige Wertschöpfung

Um es konkret zu machen: Wenn ein Konsumgüterkonzern, der jährlich hunderttausende Tonnen Plastikverpackungen in Umlauf bringt, gelegentlich eine Shampoo-Flasche aus recyceltem „Ocean Plastic“ ins Sortiment bringt, ist das noch kein systematischer Wandel zu einer nachhaltigen Wertschöpfung. Die Umstellung des Frosta Konzerns hingegen von bunten Verpackungen mit Plastikbeschichtungen auf ungebleichte Papierbeutel für ihre Tiefkühlware ist ambitioniert (wie auch die Rückschläge bei der Umstellung zeigen) und unterstreicht die Glaubwürdigkeit der Transformation im Kerngeschäft.

Umgekehrt sollte das nicht-kommerzielle, gesellschaftliche Engagement …

  • systemische Veränderungen anstreben – nicht Symptombekämpfung.
  • keinen wirtschaftlichen Gewinn versprechen.
  • in Allianzen mit anderen Unternehmen, Verbänden und NGOs arbeiten, um Kompetenzen und Ressourcen zur Verbesserung sozialer und ökologischer Bedingungen zu bündeln.
  • klaren Regeln folgen und maximal transparent sein: Wer hat was bekommen, warum und welche Wirkung wurde für die Gesellschaft erzielt? Hier gibt es keine Geschäftsgeheimnisse.
  • regelmäßig von Zielgruppen oder externen Auditoren evaluiert und den Berichten veröffentlicht werden.

Die angemessene Entsprechung und gegenseitige Befruchtung von kommerziellem und nicht-kommerziellem Handeln funktioniert dann besonders gut, wenn sie von einer bestimmten Kultur und Struktur getragen wird. Auf der Management-Seite braucht es dafür ein klares Verständnis, was und wie gesellschaftliches Engagement die Business-Transformation beflügeln kann, beispielsweise durch zusätzliche Expertise, Kompetenzen, Netzwerke in Wissenschaft und Zivilgesellschaft und immer wieder durch motivierende Geschichten, überzeugende Aktionen und Kommunikation auf der emotionalen Ebene. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Pfund im Transformationsprozess.

CSR ist eine Leitungsaufgabe

Und es ist ein Thema für die Chefetage, weil es eben nicht um Wohltaten geht, sondern um Wandel. Und Wandel muss im oberen Stockwerk gewollt und vorgelebt werden. Die Einrichtung eines Vorstandsressorts in Person einer CSO (Chief Sustainable Officer) oder CRO (Chief Responsibility Officer) wird bald keine Seltenheit mehr sein.

Umgekehrt kann die CSR-Abteilung oder ausgegliederte Stiftung die Hilfe des Unternehmens für seine Vorhaben und zur Unterstützung seiner Netzwerke anbieten, unter anderem in Form von Corporate Volunteering, Austausch mit Fachleuten oder Zugang zu Technologie. Auch hier liegt ein nicht zu unterschätzender Hebel für mehr Wirksamkeit des gesellschaftlichen Engagements.

Zurück zur Ausgangsfrage im Vorspann dieses Textes. Ist das eigentlich noch CSR? Betrachtet man CSR als mildtätige Ergänzung zum Business, lautet die Antwort: Nein, das ist es nicht. Es ist etwas viel Spannenderes. Nicht-kommerzielles, gesellschaftliches Engagement bedeutet für die Integratoren einen unverzichtbaren Teil einer umfassenden Transformation. Und das ist mehr als nur ein Narrativ.

Baum mit zwei Stämmen. Symbolbild für Blogbeitrag "Die Trennung von CSR und Kerngeschäft ist bald von gestern". Foto: Wirestock Creators, shutterstock.com
CSR und Kerngeschäft wachsen immer mehr zusammen. Foto: Wirestock Creators, shutterstock.com
Uwe Amrhein ist Stiftungsmanager der Röchling Stiftung sowie Mitgründer und Vorstand der Stiftung Bürgermut.
Uwe Amrhein
Karenina Schröder, Wider Sense GmbH
Karenina Schröder

Kontakt

  • Uwe Amrhein
    ist Stiftungsmanager der Röchling Stiftung sowie Mitgründer und Vorstand der Stiftung Bürgermut, die soziale Innovationen fördert.

    uwe.amrhein@roechling-stiftung.de

  • Karenina Schröder
    berät als Mitglied der Geschäftsleitung von Wider Sense Unternehmen zur strategischen Ausrichtung ihres gesellschaftlichen Engagements.

    schroeder@widersense.org

Die neue Studie zum Corporate Citizenship der DAX-Unternehmen

Gemeinsam mit goetzpartners haben wir erstmals seit 2017 das gesellschaftliche Engagement der großen DAX-Konzerne untersucht und analysiert. Dabei decken wir neue und aufschlussreiche Insights rund um die Frage „Ist strategisches Corporate Citizenship bereits die Norm?“ auf. Jetzt kostenlos vorbestellen!

Studie vorbestellen